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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine
Autoren: Wolfgang Ecke
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für zwei Tage. Diese jedoch bestimmt. Meine alte Tante hat sich zum Geburtstag eine Art Küstenrallye gewünscht. Es könnten also durchaus auch ein paar Tage mehr werden.«
    »Wie alt wird die Tante denn?«
    »Siebzig. Aber das sehen Sie ihr nicht an. Man gibt ihr immer höchstens fünfundfünfzig. Was glauben Sie, hat sie sich zum Neunundsechzigsten für einen Wunsch erfüllt?«
    »Na?«
    »Sie ist mit einem Hubschrauber auf zweitausend Meter gestiegen und von dort mit dem Fallschirm abgesprungen!« Die Frau vor Boransky schüttelte energisch den Kopf. »Ich glaube Ihnen kein Wort! Mit neunundsechzig springt man nicht mehr mit dem Fallschirm!«
    »Ich schlage Ihnen eine Wette vor: Ich bezahle Ihnen das Zehnfache der Wagenmiete, wenn ich nicht nachweisen kann, daß es stimmt, Sie dagegen erlassen mir den Mietpreis, wenn ich es Ihnen schwarz auf weiß belegt habe!« Boransky streckte der jungen Frau die Hand hin. »Schlagen Sie ein!«
    Unsicher geworden, winkte die Vermieterin ab. »Das ist mir doch zu riskant.« Und lachend fügte sie fragend hinzu: »Was soll ich tun, wenn sie wirklich abgesprungen ist?«
    »Zahlen natürlich!« erwiderte Boransky und zog seine Brieftasche hervor. »Ich sehe schon, Sie sind kein Freund vom Wetten. Kommen wir also zum Geschäft.«
    Sie deutete zu einer Sitzecke. »Erledigen wir den Schriftkram dort!«

4. Kapitel

    Nach fünf Jahren saß Olaf Boransky zum erstenmal wieder hinter einem Steuerrad.
    Langsam und vorsichtig fuhr er den nächsten Parkplatz an und begann, sich auf einem großen Zettel der Reihe nach sämtliche Straßen zu notieren, über die er fahren mußte, wollte er die Stadt in der gewünschten Richtung verlassen. Laut Straßenkarte waren es bis zu dem Ort, in dem sich die geheimnisvolle Villa befand, genau achtunddreißig Kilometer. »Nelkenweg 12« würde am Haus stehen. Um den »Nelkenweg 12« zog er zehn dicke Kringel mit dem Bleistift. Ein Antiquitätengeschäft sollte diese Nummer 12 sein. Da Boransky noch nie in dieser Stadt gewesen war, bemühte er sich, vor Einbruch der Dämmerung die Stadtgrenze zu erreichen. Er hatte es schon früher gehaßt, in einer fremden Stadt im Dunkeln Straßennamen suchen zu müssen.

    Es war noch sehr hell, als er die breite Ausfallstraße erreichte und als er das Mädchen mit dem ausgestreckten Daumen und dem kleinen Rucksack zwischen den Füßen vor sich auftauchen sah.
    Sie konnte höchstens fünfzehn sein. Die dunklen Haare trug sie zu kleinen Zöpfen geflochten, die ihr rechts und links leicht abstanden. Es sah lustig aus. Dagegen wirkte ihr Schmollmund, den sie zog, als er mit bedauerndem Achselzucken an ihr vorbeifuhr, ausgesprochen traurig. Schade...
    Er hätte sich gern ein wenig abgelenkt, ein paar Worte gesprochen, den zwanglosen Scharm eines jungen Mädchens genossen. Vielleicht wollte sie gar nicht weit, vielleicht wohnte sie schon in der nächsten oder übernächsten Ortschaft? Er bremste. Er mußte das Bremspedal über Gebühr strapazieren. Man schien in dieser Hinsicht bei der Verleihfirma keine übergroßen Anforderungen zu stellen.
    Der Auspuff röhrte, als er rückwärts zu fahren begann. Oder war es gar nicht der Auspuff?
    Das Rucksackmädchen kam ihm bereits strahlend entgegen. Sie öffnete von außen die Tür. Boransky blieb kaum noch genügend Zeit, seine Weg- und Adressenbeschreibung in das Handschuhfach zu schieben.
    »Vielen Dank, daß Sie es sich doch noch überlegt haben«, sagte das Mädchen. Ihre Frische und Natürlichkeit nahmen Boransky vom ersten Augenblick an für sie ein. Dabei versuchte er vergeblich, eine gewisse Verblüfftheit zu verbergen.
    »Wo möchten Sie hin?« fragte er.
    »So weit nördlich, wie es geht. Fahren Sie in Richtung Bremerhaven?«
    »In Richtung schon. Fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer könnte ich Sie mitnehmen.«
    »Okay«, nickte sie und schob sich sehr geübt neben ihn. Den Rucksack deponierte sie auf ihren Knien.
    »Ist nicht gerade der jüngste und schnellste Wagen, den Sie sich ausgesucht haben!« meinte Boransky und gab Gas. Sie lächelte ihn an.
    »Um diese Tageszeit darf man als Anhalter nicht mehr wählerisch sein. Da heißt es nur noch vorwärtszukommen.« Sie löste die Verschnürung des Rucksacks, fuhr mit der Rechten hinein und förderte einen runzligen Apfel zutage. Während sie ihn mit den Zähnen hielt, knotete sie den khakifarbenen Beutel wieder zu.
    »Ich hoffe, Sie wollen keinen«, meinte sie kauend, »es war der letzte!«
    »Ich bin nicht verrückt
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