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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine
Autoren: Wolfgang Ecke
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Ziel erreicht. Wo lasse ich sie am besten aussteigen? überlegte er. Er war so mit diesem Problem beschäftigt, daß er überhaupt nicht mehr auf das hörte, was sie sagte. Und er zuckte erschrocken zusammen, als sie ihm ins Ohr rief: »He, sind Sie eingeschlafen?«
    »Aber nein, ich höre Ihnen zu!«
    In diesem Augenblick war Boransky zu einem Entschluß gekommen. Er würde bis zum nächsten Ort durchfahren, sie dort aussteigen lassen und wieder umkehren.
    »Im nächsten Ort müssen Sie nach einem neuen Piloten Ausschau halten!«
    Sie nickte. »Okay!«
    »Hätte ich nicht eine unaufschiebbare Sache zu erledigen, hätte ich Sie gern nach Bremerhaven gefahren.«
    »Ich fühle mich geschmeichelt!«
    »Es war mein Ernst, Fräulein Unbekannt!«
    »Das Fräulein Unbekannt bedankt sich! Es heißt übrigens Melanie!«

5. Kapitel

    Olaf Boransky hatte eine kleine, aber bemerkenswert feste Hand gedrückt, die all das unterstrich, was das Mädchen über sich erzählt hatte. In ihrem Händedruck widerspiegelten sich Energie, Bereitschaft zum Risiko und Hartnäckigkeit bei der Verfolgung vorgenommener Ziele. Ein beneidenswertes Geschöpf, diese junge Dame namens Melanie, deren Verschwinden ihn gleichzeitig traurig machte und erleichterte. Bei der Verwirklichung seines Traums waren Gefühlsregungen fehl am Platze.
    Zehn Minuten später erreichte er seinen Zielort zum zweitenmal, diesmal von Norden her. Schon die erste Durchfahrt hatte ihm gezeigt, daß es sich um eine anscheinend wohlhabende Gemeinde handelte. Alles machte einen gediegenen und äußerst gepflegten Eindruck. Es gab viel Grün, blitzsaubere Straßen und eine Menge teuer aussehender Häuser. Das Spritzenhaus, dessen Türen Holzornamente aufwiesen, war neu verputzt, und das Bürgermeisteramt konnte man mit Fug und Recht als kunstschmiedeverziertes Schmuckstück bezeichnen.
    Boransky hatte das Licht eingeschaltet.
    Er stoppte neben einem Jungen mit Fahrrad und erkundigte sich nach dem Nelkenweg.
    »Dort vorn rechts ab, dann die zweite Straße links. Erst kommt der Rosenweg, dann der Nelkenweg.«
    Er bog in die zweite Straße links ein. Besonderes Merkmal: sehr große Grundstücke und die dazu passenden Häuser. Langsam rollte Boransky an der Einfahrt mit der Nummer 12 vorbei. Weit zurückversetzt eine imposante Villa im Jugendstil. Neben der Einfahrt ein schmales schlichtes Schild mit einem einzigen Wort: »ANTIQUITÄTEN.«
    Das Tor zur breiten, kiesbestreuten Auffahrt stand offen, im Haus selbst brannte hinter mehreren Fenstern bereits Licht. Alles machte einen gediegenen, vornehmen Eindruck. Und — einen friedlichen.
    Olaf Boransky, der sich erst jetzt seiner kalten Hände bewußt wurde, kehrte auf demselben Weg zurück und steuerte den vorhin entdeckten Parkplatz vor einem Spezialitätenrestaurant an.
    Etwa ein Dutzend Fahrzeuge parkten bereits hier.
    Er stellte den Wagen an der äußersten linken Seite ab.
    Er lehnte sich zurück, schloß die Augen und murmelte: »Ich bin ganz ruhig... ich bin ganz ruhig... ganz ruhig...« Worte, deren Reihenfolge er beim autogenen Training gelernt hatte. »Ich bin ganz ruhig... alles muß ruhig und überlegt vor sich gehen. Keine Hektik, keine Furcht, keine Panik... Ich werde jetzt hier essen und, sobald es dunkel ist, aufbrechen.«
    Wie hatte Kaiser gesagt: »Er ist immer da. Er hat immer ein Alibi. Am besten ist die Zeit nach 19 Uhr, da haben die Angestellten das Haus verlassen...«
    Boransky entnahm seiner Brieftasche einen Geldschein und schob ihn in die Tasche. Die Brieftasche selbst legte er zu der Wegbeschreibung in das Handschuhfach. Warum? Sicher hätte er in diesem Augenblick auf diese Frage keine Antwort gehabt.
    Er betrat das Restaurant und zwang sich zu ruhigen Schritten, die ihn zu einem kleinen Zweipersonentisch in die entfernteste Ecke des Lokals brachten.
    »Guten Abend, der Herr!« sagte der Kellner, dessen Kleidung, wie auch Übergardinen und Tischdecken, in Rotgrau gehalten war. »Die Speisekarte, die Getränkekarte. Darf ich die Kerze anzünden?«
    »Bitte!«
    Beide Karten waren in dickes, schweres Leder gebunden. Die Kerze flackerte, was den Kellner veranlaßte, gleich einem Taschenspieler eine Schere aus dem Ärmel zu zaubern, mit dessen Hilfe er den Docht kürzte.
    Er bestellte und aß ein vorzügliches Steak mit neun Beilagen, denen verdankte das Gericht wohl auch seinen Namen: Neunersteak. Er trank im Anschluß daran zwei Portionen Kaffee und blätterte in zwei Zeitungen.
    Doch: Er schmeckte weder die
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