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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine
Autoren: Wolfgang Ecke
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Marussen.
    »Mein Name ist Boransky!«
    Die Hand des Grauhaarigen glitt zur Seite, die Musik verstummte.
    »Nun, Herr Boransky?«
    »Der Name sagt Ihnen hoffentlich eine Menge!« Marussens Miene zeigte Ratlosigkeit. »Sollte er das?«
    »Das sollte er, wenn ich auch nur ein fast unbekanntes Rädchen in Ihrer Maschinerie war. Vielleicht sogar weniger ein Rädchen als vielmehr ein Sandkorn.«
    Marussen tat hilflos. »Moment, sprechen Sie noch immer von und mit mir?«
    »Sie sind erstaunt?« Boranskys Stimme klang höhnisch. Er fühlte plötzlich Überlegenheit. Der aristokratische Alte schien ein miserabler Schauspieler zu sein.
    »Ich bin erstaunt über das Wort >Maschinerie<.«
    »Ich heiße Olaf Boransky und wurde gestern aus dem Gefängnis entlassen.«
    »Gefängnis??« Marussen hatte sich vorgebeugt. Zwischen seinen Augen stand eine steile Falte. »Gefängnis??« wiederholte er mit belegter Stimme. »Um Himmels willen, Herr Bolansky...«
    »Boransky!«
    »... Boransky, was soll das alles?«
    »Ich möchte Ihnen gern meine Geschichte erzählen, wenn Sie nichts dagegen haben.« Marussen nickte stumm.
    »Ich hatte einen Freund, dieser Freund wiederum hatte eine Frau und eine dreijährige Tochter. Aida hieß die Tochter. Mein Freund war Musiker. Cellist. Er spielte in einem Opernensemble bis zu jenem Tag, an dem er auf einen Lastwagen auffuhr. Seine linke Hand wurde dabei so verstümmelt, daß es für immer vorbei war mit dem Cellospielen. Mein Freund hatte sich finanziell sehr stark engagiert, so stark, daß ihm jetzt von einer Stunde zur anderen das Wasser bis zum Hals stand. In dieser Situation begegnete er jemandem, der versprach, ihm zu helfen. Und der Betreffende hielt Wort. Mein Freund wurde Kurier in einer Organisation, die Heroin von Amsterdam nach Frankfurt schmuggelte.
    Er verdiente gut und konnte seine Schulden bezahlen. Dann kam der Tag, an dem er aussteigen wollte, denn ich hatte ihm immer wieder ins Gewissen geredet. Doch seine >Freunde< dachten anders darüber. Sie erinnerten ihn daran, daß sie es waren, denen er seinen Wohlstand verdankte. Ich mußte zu diesem Zeitpunkt für meine Firma acht Wochen nach Indonesien. Als ich zurückkam, teilte mir mein Freund mit, daß es jetzt soweit sei, ans Aussteigen zu denken. Die nächste Fahrt sollte seine letzte sein. Was es mit dem >jetzt soweit sei< auf sich hatte, verriet er mir nicht, noch nicht.
    Ich bot ihm an, ihn auf dieser letzten Reise zu begleiten. Gemeinsam fuhren wir also nach Amsterdam, er übernahm wie immer seine Ware, und wir machten uns auf die Heimfahrt. Alles ging wie immer reibungslos vonstatten. Bei dieser Fahrt erfuhr ich auch, wie gut im Falle des Entdecktwerdens die >Betreuung< durch die Organisation sei, die ja angeblich eine einzige große Familie bildete. Die besten Rechtsanwälte seien in solchen Fällen zur Stelle. Dazu die Versorgung der Familie und so weiter, und so weiter. Ich glaubte von alledem kein Wort.
    Nun, mit einem Unfall hatte alles begonnen, mit einem Unfall endete alles.
    An unserem Wagen platzte bei Kassel ein Reifen, und wir landeten an einem Baum.
    Die Polizei zog nicht nur uns aus den Trümmern, sie stieß auch auf das Heroin. Meine Ausrede, ich sei nur unbeteiligter Anhalter gewesen, galt so lange als unwiderlegbar, bis sich herausstellte, daß wir uns schon seit der Schulzeit kannten.
    Wir saßen im Gefängnis und warteten auf den >besten Anwalts Außer unseren Pflichtverteidigern sahen wir keinen. Ja, mehr noch: Wie mein Freund feststellen mußte, war auch das Versprechen, sich’um die Familienangehörigen zu kümmern, eine Mär. Eine böse Mär, Herr Marussen. Die Organisation läßt ihre kleinen Transporteure fallen wie heiße Kartoffeln. Doch das nicht allein. Manchmal bringt sie sie auch um. Wie zum Beispiel meinen Freund Kaiser. Kaiser muß irgendeine Unvorsichtigkeit begangen haben, die einem Spitzel zu Ohren kam. Sie, die Spinne im Netz des Spritzenimperiums, haben daraufhin seine Liquidation befohlen. Ja, Kaiser hatte vor, eine folgenschwere Aussage zu machen. Daß er es nicht früher tat, lag einfach daran, daß er sich um seine Familie sorgte. Eine Aussage, die sich gegen Sie, Herr Marussen, gerichtet hätte...«
    Marussen schüttelte den Kopf. Sein Lächeln sollte Ratlosigkeit dokumentieren.
    »Ich glaube, Sie sollten dringend einen Arzt aufsuchen, Herr Bolansky!« Natürlich lag Absicht im Zitieren des falschen Namens.
    Olaf Boransky fegte den Einwurf mit einer heftigen Handbewegung zur
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