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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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daß ihre heftige Abfuhr und der Widerwille gegen dieses Kleidungsstück ihren schwelenden Haß auf das Hitlerregime verriet.

3
    Unser Sohn Christian war etwa zwölf, als er eines Tages mit einem Hund nach Hause kam. Der Terrier gehörte dem Großvater eines Freundes, der in ein Altersheim verlegt wurde. Keiner wollte das Tier aufnehmen, also blieb es bei uns. In allen Familien, die ich kenne, ist es das gleiche Spiel: Anfangs schwören die Kinder, die Pflege zu übernehmen, und ein paar Tage lang kümmern sie sich auch wirklich um das neue Familienmitglied. Doch über kurz oder lang bleiben alle Pflichten an der Hausfrau hängen.
     
    Beim abendlichen Gassigehen lernte ich ein Ehepaar aus der Nachbarschaft kennen, das zur gleichen Zeit seinen Rauhhaardackel ausführte. Nach und nach erfuhr ich mehr über diese Leute, die ein ganzes Stück älter waren als ich.
    Schon bei einem unserer ersten Gespräche entrüstete sich Frau Rebhuhn, die ihren Mann um einen Kopf überragte, über einen aktuellen Zeitungsartikel. 374 prominente Frauen bekannten sich öffentlich dazu, illegal abgetrieben zu haben. Ich weiß noch, daß ich eine heftige Diskussion mit ihr führte; als ich aber erfuhr, daß sich dieses Ehepaar jahrelang vergeblich ein Kind gewünscht hatte, verstummte ich.
     
    Die Rebhuhns besaßen in der Wiesbadener Altstadt einen Antiquitätenladen, der auf Schmuck spezialisiert war. Die beiden hingen aneinander wie die Kletten, fuhren täglich gemeinsam ins Geschäft und nahmen auch den Hund stets mit. Ihr Dackel wirkte zwar nicht gerade wie ein Zerberus, konnte aber bedrohlich knurren und die Zähne fletschen.
     
    Bei einem Einkaufsbummel entdeckte ich den winzigen Laden mit dem Messingschild Walter P. Rebhuhn, Antiquitäten . Ich trat ein und ließ mir die vielen Sächelchen zeigen. Es war zwar vorwiegend Schmuck, den sie in ihren Vitrinen ausstellten, aber sie verkauften auch Dosen, Fingerhüte, Rahmen, Bestecke, Becher und dergleichen silbernen Kleinkram. Ich war entzückt, ja hingerissen und erstand von dem Geld, das eigentlich für eine Handtasche gedacht war, ein zierliches klassizistisches Reisenecessaire. In das Etui aus Schildpatt waren ein vergoldetes Scherchen, eine Ahle und ein feingravierter Nadelbehälter eingebettet. Ich besitze es zwar heute noch, aber im Grunde war es ein ebenso spontaner wie überflüssiger Kauf. Auch mein Mann war etwas erstaunt.
     
    Immerhin fand Udo alles interessant, was ich über das Ehepaar zu erzählen wußte, er schätzte unsere wohlhabenden Nachbarn. Ausgerechnet er redete mir zu, auf deren Angebot einzugehen und Herrn oder Frau Rebhuhn gelegentlich im Laden zu vertreten.
    Ich wurde zwar nicht gerade fürstlich entlohnt, aber es waren angenehme Stunden. Die Rebhuhns hatten beschlossen, daß jeder von ihnen abwechselnd einen Tag pro Woche freihaben sollte, um mit dem Dackel zum Tierarzt zu gehen oder andere Dinge zu erledigen. Da häufig ganze Touristengruppen hereinströmten, war es besser, wenn mindestens zwei Personen die wertvollen Objekte im Auge behielten.
    Man konnte viel von den Rebhuhns lernen. Zuweilen blieb das Geschäft stundenlang leer, und wir hatten Zeit zum Plaudern. Walter Rebhuhn war ein umfassend gebildeter Mann; in einem Tresor befanden sich seine persönlichen Favoriten, die er nur ungern verkaufte. Seine Frau pflegte ihn ein wenig zu necken, wenn er wieder einmal seine Lieblinge nicht herausgerückt hatte. Fast über alle Gegenstände konnte er etwas Interessantes erzählen. Ja auch mich brachte er dazu, mich mit Kultur- und Kunstgeschichte zu beschäftigen. Nach ein paar Jahren war ich zu einer Vertrauensperson geworden, die sich bestens auskannte. Als Frau Rebhuhn an Krebs erkrankte, sprang ich immer häufiger ein.
     
    Es gibt Menschen – wie Anneliese –, die nicht an Zufall glauben. So sehe ich es zwar nicht, aber es war doch wie ein Fingerzeig des Schicksals, daß Frau Rebhuhn am Tag meiner Scheidung starb. Als ich so plötzlich zu einer einsamen, alleinstehenden Frau geworden war und bald darauf aus unserem Haus ausziehen mußte, reagierte ich mit Verbitterung. Unser Sohn lebte damals bereits in Berlin, ich hatte in Wiesbaden keine weitere Verwandtschaft. Es war Anneliese, die mir Mut machte, und Herr Rebhuhn, der mir eine feste Anstellung anbot. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können, denn ich wurde von meinem allzu großen Selbstmitleid abgelenkt. Mein Chef litt schließlich auch nicht weniger als ich.
    Wir kannten und
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