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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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Beim Tanzstundenball war ich tatsächlich am geschmackvollsten angezogen, das läßt sich mit Fotos belegen. Die anderen Mädchen steckten in starren Rüschenkleidern aus lila, türkis und bonbonrosa Taft. Auf dem schwarzweißen Bild kann man es zwar nicht erkennen, aber Annelieses Kleid war himmelblau mit erbsengrünen Polkatupfen, so daß sie ein wenig wie ein weiblicher Clown daherkam.
    Meine Mutter hatte mir einen langen Rock aus blasser Fallschirmseide genäht, der ganz weich und locker auf meine Ballerinas herabfiel. Als einzige trug ich ein Röschen im schwarzen Haar. Ich sah so wunderschön und leblos aus wie Schneewittchen.
    Denn was half schon mein seidenes Kleid? Die jungen Männer, die sich aus dem nahen Knabengymnasium rekrutierten und etwa zwei Jahre älter waren als wir, interessierten sich nicht für Röcke und Blusen, um so mehr aber für deren Inhalt. Keine konnte man beim Walzer so herumschwenken wie Anneliese, keine hatte ein so keß zur Schau gestelltes Dekolleté, keine lachte übermütiger und ließ sich auf dem Heimweg so gern küssen.
    Damals sagte mein Vater: »Es wäre klüger, dir eine andere Freundin zu suchen, Lore! Eine, die keine Konkurrenz bedeutet!«
    Ich lachte meinen Papa aus. Anneliese und ich blieben unzertrennlich, denn ich machte mir nichts aus den pickligen Jünglingen, die sie umschwänzelten. Trotzdem gab es mir einen Stich ins Herz, wenn ich als letzte zum Tanz aufgefordert wurde. Ich war wohl ein Mauerblümchen.
     
    Anneliese bestreitet das. Es sei eher so, daß sich die jungen Männer nicht recht an mich herangetraut hätten. Ich sei fast zu fein, zu vornehm und damenhaft gewesen, außerdem klüger als alle anderen.
    »Na, jetzt übertreibst du aber«, sage ich, aber ich höre es gern.
     
    In der Tanzstunde hatte Anneliese auch ihren ersten Freund kennengelernt. Nie werde ich den Geruch seiner dunkelgrünen, breitgerippten Jacke vergessen, die mit einem modischen Reißverschluß geschlossen wurde. Damals nannte man Kordsamt noch Manchester, und der Stoff roch anders als heute: geradezu penetrant, wenn er neu war, muffig, wenn er oft getragen wurde. In der Jackentasche steckte gut sichtbar eine Pfeife, die aber reine Angeberei war. Die Kreppsohlen seiner Schuhe quietschten beim Tango, der Schweiß perlte auf seiner Stirn, der aufdringliche Geruch der Kordjacke mischte sich mit dem scharfen von Pitralon, seinem Rasierwasser.
    »Habt ihr euch bloß geküßt oder auch ein bißchen gefummelt?« frage ich meine Freundin, denn jetzt kann sie es mir ja verraten.
    »Wo denkst du hin«, sagt sie lachend, »und selbst die Küsse waren viel harmloser als alles, was heute im Nachmittagsprogramm läuft. Als er einmal die Hand auf meinen Busen legte, habe ich ihm eine geschmiert. Wenn du die Wahrheit wissen willst – so richtig aufgeklärt war ich sowieso nicht.«
    »Und? Wie hast du es schließlich herausgekriegt?« frage ich. Bei mir waren es, wie bei vielen anderen, zwei Ratgeber aus der Hinterlassenschaft meiner Großmutter: Die Frau als Hausärztin und Das Geschlechtsleben des Weibes.
    Anscheinend war Anneliese auf diesem Gebiet ein Naturtalent.
    »Das meiste kann man sich doch denken …« meint sie.
    »Wie hieß er denn gleich, dieser Kerl mit der Kordjacke?« frage ich.
    »Ewald«, antwortet Anneliese und muß kichern.
    Wir schweigen ein wenig. Eine Hummel ist durch das gekippte Fenster geflogen und kämpft zornig gegen die Glasscheibe an; ein duftender Jasminzweig in der Vase wird sie angelockt haben. Ich mag keine Insekten, Anneliese ist dagegen durch ihre Gartenarbeit gegen jeglichen Ekel vor Würmern, Schnecken und anderem Getier immun; lässig wirft sie ein Küchentuch über die Hummel und befördert das brummende Bündel auf schonende Weise nach draußen. Wenn sie mich wegen meiner Kleidung bewundert, so beeindruckt mich ihre Tatkraft. Sie ist nicht wehleidig oder verbittert, und sie hat keine Skrupel. In ihren Träumen kann sie sogar schweben, wie sie mir immer wieder versichert.
     
    Welche andere Frau, die den Tod des eigenen Mannes verschuldet hat, wäre so frei von allen Gewissensbissen? In Annelieses Fall gab es sogar eine Vorladung und eine polizeiliche Ermittlung, denn der ewig kränkelnde Hardy war an einer Vergiftung gestorben.
    Anneliese ist eine sehr gute Köchin. Als in den 90er Jahren der wilde Bärlauch neu entdeckt wurde, bestellte Hardy bei einem Restaurantbesuch die angepriesene Köstlichkeit und war von der legierten Suppe sofort begeistert. In seiner
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