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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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Heimatzeitung las er zudem, daß es kaum eine bessere Diät zur Senkung des Cholesterinspiegels gebe. Von da an verlangte er von seiner Frau, die selbst weder Knoblauch noch Zwiebeln vertrug, fast täglich ein grünes Frühlingssüppchen. Um ihr zu schmeicheln und wohl auch, um sie bei Laune zu halten, behauptete Hardy, daß kein Sternekoch eine bessere Suppe zubereiten könne als sie.
    Die sparsame Anneliese sah allerdings nicht ein, daß sie den Bärlauch auf dem Markt kaufen sollte, wo er doch ganz in der Nähe massenhaft wucherte. Aus Versehen hatte sie eines Tages wohl ein paar Blätter der Herbstzeitlose mitgepflückt. Leider war Annelieses Spezialität diesmal mit Colchicin gewürzt, und Hardy löffelte sie mit bestem Appetit und bis zum bitteren Ende. Nun, man konnte ihr wirklich keine böse Absicht unterstellen. Bei Durchfall und Erbrechen ruft eine erfahrene Hausfrau nicht gleich den Arzt. Sie versucht erst einmal durch bewährte Hausmittel Abhilfe zu schaffen. Verdächtig war höchstens, daß sie selbst die bewußte Delikatesse nicht angerührt hatte. Aber es gab genug Zeugen – auch mich –, die sicher waren, daß Anneliese Zwiebelgerichte stets verschmäht hatte. Darüber hinaus attestierte der Hausarzt, daß bei seiner Patientin seit Jahren ein Gallenstein bekannt war, weswegen sie blähende und schwerverdauliche Speisen meiden mußte.

Kürzlich habe ich beim Kochen ihr Gallenleiden nicht berücksichtigt, und Anneliese hat trotzdem kräftig zugelangt.
    Erst Tage später wird mir mein Fauxpas bewußt, und ich frage ängstlich: »Ist dir neulich das Essen bekommen? Aus alter Gewohnheit habe ich die Leber mit Zwiebelringen gebraten, du mußt bitte entschuldigen …«
    »Schon recht«, sagt Anneliese, »hat gut geschmeckt. Man kann im voraus nie genau wissen, ob ich etwas vertrage oder nicht. Nur Steinpilze sind absolut tabu, sonst muß ich leiden wie ein Tier.«
    Fast hätte ich auch nach Bärlauch gefragt, aber ich lasse es lieber bleiben. Statt dessen frage ich: »Warum läßt du dich nicht operieren? Man kann Gallensteine doch zertrümmern!«
    »Wer weiß, was sonst noch alles zertrümmert wird«, meint sie. »Ich nehme meinen edlen Stein lieber mit ins Grab. Solange ich nur alle fünf Jahre eine Kolik habe, ist es auszuhalten.«
    »Und was sagt der Arzt?«
    »Im Prinzip ist er der Meinung, man soll mit einer Operation nicht warten, bis man hundert ist. Aber so alt will ich sowieso nicht werden.«
    Tja, die Zipperlein des Alters! Davon kann auch ich ein Lied singen: zunehmende Vergeßlichkeit, Grüner Star, Hammerzehe, Reizblase, Schlaflosigkeit. Und mein Tonfall wird mit jedem Leiden larmoyanter. Dabei hat Anneliese durch ihr Übergewicht wohl größere Risikofaktoren als ich: erhöhten Blutdruck, schlechte Laborwerte, Wirbelsäulenbeschwerden. Aber sie gehört zu jenen Patienten, die den Arzt durch Verschleierung und Untertreibung an der Nase herumführen und sich sowieso nur alle Jubeljahre in einer Praxis blicken lassen. Selbst mir gegenüber bagatellisiert sie ihre Gebrechen und will auch mich auf keinen Fall bemitleiden. Gar keine so falsche Einstellung, vielleicht.
     
    Zum Glück kennt niemand den Zeitpunkt seines Todes. Ich jedenfalls will es unter keinen Umständen schon Jahre vorher wissen. Ein Leben nach dem Tod kann ich mir ohnedies nicht vorstellen. Aus ist aus, vorbei ist vorbei.
    Anneliese geht zwar auch nicht in die Kirche, aber sie ist ziemlich anfällig für spirituelle Versuchungen. »Nur zum Spaß«, behauptet sie und liest ihr Horoskop. »Toi, toi, toi«, sagt sie und klopft auf Holz. Einmal hat sie sich sogar bekreuzigt, wer weiß, ob sie nicht heimlich betet. Da sie ja im Traum trotz ihres beträchtlichen Gewichts schweben kann, ist sie sicher, es auch in einem anderen Leben zu können. Und sie spürt manchmal, wie ihre Eltern oder andere Ahnen wie Schmetterlinge um sie herumgaukeln, leicht wie ein Hauch, liebevoll und beschützend.
    »Sag doch gleich, daß du einen Schutzengel hast«, spotte ich.
    Anneliese nickt und lächelt. Manchmal sieht sie aus wie ein kleines Mädchen.
    Als ich sie kennenlernte, war sie zehn Jahre alt. Ihre blonden Zöpfe waren das Gegenteil meiner Pagenfrisur, und sie trug eine schwarze Berchtesgadener Strickjacke mit rot-grüner Passe, Trachtenknöpfen und einem in der Taille durchgezogenen Häkelbändchen.
    Ich wollte so gern ein gleiches Jäckchen besitzen, aber meine Mutter zischte nur: »Das könnte dir wohl so passen!«
    Erst heute verstehe ich,
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