Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
vertrauten uns bereits seit zehn Jahren, hatten aber stets eine respektvolle Distanz bewahrt. Herr Rebhuhn war viel zu kultiviert, um seine Anordnungen anders als mit einer höflichen Bitte zu formulieren, und vielleicht auch zu konservativ, um mir gar das Du anzubieten.
    Eines Morgens betrat ich den Laden und fand meinen Chef in Tränen aufgelöst. Beim Tod seiner Frau hatte er sich niemals gehenlassen, aber jetzt war es mit seiner Beherrschung vorbei. Gerade war sein alter Hund direkt vor dem Geschäft überfahren worden.
    Teilnahmsvoll legte ich meine Hand auf die seine und redete beruhigend auf ihn ein. Nie hätte ich erwartet, daß er mich heftig an sich zog und in meinen Armen schluchzte wie ein kleines Kind. Um ihn vor neugierigen Passanten zu schützen, schloß ich die Ladentür ab. So gut ich konnte, fuhr ich fort, ihm Trost zuzusprechen und dabei sanft seinen Rücken zu streicheln. Schließlich weinte ich mit ihm, und irgendwann gerieten unsere nassen Gesichter aneinander, und wir küßten uns. Dramatischer und verheulter hätte eine Liebesbeziehung kaum beginnen können. Erst viel später erkannte ich, daß die symbiotische Dreiecksbeziehung von Herrchen, Frauchen und Hund erst durch den Tod des Dackels ein Ende gefunden und den Weg für einen Neubeginn frei gemacht hatte.
     
    Wir waren wohl ein recht ungleiches Paar, aber keiner konnte sich darüber lustig machen, denn außer Anneliese wußte niemand von unserer Affäre. Christian hatte bei einer seiner Stippvisiten allerdings Verdacht geschöpft. »Du magst das Rebhühnchen wohl ziemlich gern?« fragte er.
    Doch auch erwachsene Kinder müssen nicht alles über ihre Eltern erfahren. Vor allem wollte ich nicht, daß Udo auf Umwegen Wind von der Sache bekam.
     
    Herr Rebhuhn hieß Walter P. mit Vornamen. Zu meiner Verwunderung bedeutete das P nicht Peter oder Paul, sondern Percy. Da seine Frau ihn stets Walter genannt hatte, wollte er von mir nicht ebenso angesprochen werden; es fiel mir allerdings schwer nach so vielen Jahren, und wir vertaten uns beide immer wieder. Percys Großvater war Schotte gewesen, und sein Enkel pflegte vielleicht deswegen den Kontakt zu Engländern. Durch ihre Vermittlung hatte er manche Antiquitäten günstig erwerben können.
    Percy hinkte ein wenig, war weißhaarig, klein, etwas rundlich und von rosiger Gesichtsfarbe. Wie schon seine verstorbene Frau war auch ich ein Stück größer als er, aber trotzdem nannte er mich in stillen Stunden – wohl auf Grund meiner grauen Kleider – Schwälbchen oder kleine Schwalbe. Es war eine neue Erfahrung für mich, daß ein Mann durch meine Zuwendung aufblühte und sich von einer bisher unbekannten heiteren Seite zeigte. Früher mochte ich keine Männer, die Schmuck trugen. Aber ihm standen Ringe, Krawattennadeln, Manschettenknöpfe und goldene Uhrenketten, weil er sie mit Grandezza und Selbstverständlichkeit zu tragen wußte. Manchmal steckte er mir wortlos einen Ring an den Finger, wobei ich nie genau wußte, ob er ihn mir schenken oder bloß an einer Frauenhand begutachten wollte. Nach getaner Arbeit gingen wir meistens essen.
    Da meine neue Wohnung in der Nähe des Geschäfts lag, verbrachten wir jedoch die Mittagspausen bei mir. Erst gab es einen Imbiß, dann hielten wir Siesta – und zwar legte ich mich ins Bett, er sich aufs Sofa. Man kann nicht gerade behaupten, daß unser Verhältnis von überschäumender Leidenschaft geprägt war, aber es wurde trotzdem eine Zeit des stillen, dankbaren Glücks, der aufrichtigen Freundschaft und vieler friedlicher Mahlzeiten.
    Nur ein einziges Mal verbrachten wir eine gemeinsame Nacht bei Percy, was wir aus pragmatischen Gründen aber nicht wiederholten. Zum einen mochte ich mich nicht gern in der Nähe unseres früheren Hauses blicken lassen, wo nun fremde Menschen wohnten. Zum anderen tat ich im Bett der verstorbenen Frau Rebhuhn kein Auge zu.
    Auf Percys Nachttisch stand immer noch ein Hochzeitsfoto mit der Widmung: Für meinen geliebten Walter von seiner Martha . Unser beider Liebster trug darauf eine Uniform, die ihn überhaupt nicht kleidete. Nicht nur dieses Bild, auch jedes beliebige Möbelstück in seiner Wohnung erinnerte an eine langjährige Ehe. In meiner Zweizimmerwohnung gab es nur ein schmales Bett, weil ich mich nach der Scheidung auf ein nonnenhaftes Leben eingestellt hatte. Ich hätte natürlich eine größere Wohnung mieten können, aber ich wollte diesbezügliche Schritte nicht von mir aus in die Wege leiten. Percy schien
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher