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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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ich nach einigen Monaten einen schlaksigen jungen Mann ein, der mich mit seinen dunklen Brauen, schweren Lidern und dem leicht geöffneten Mund an ein frühes Selbstbildnis von Caravaggio erinnerte. Der hübsche Rudi war soeben von seinem Lebens- und Geschäftspartner verlassen worden, doch war er nicht annähernd so unglücklich, wie ich es seinerzeit gewesen war.
    Worunter er vor allem litt, war ein sehr spezielles Problem: Sein rechter Fuß war drei Zentimeter größer als der linke. Aus diesem Grund mußte er Schuhe tragen, die links zu groß waren. Dauernd ertappte ich ihn, wie er in Socken hinter der Kasse stand und frisches Seidenpapier in seinen Schuh stopfte. Da mich sein ständiges Lamento etwas nervte, kaufte ich ihm zum Geburtstag je ein Paar identischer Schuhe in Größe 41 und 44, wohl wissend, daß er für zwei Exemplare keine Verwendung hatte.
    Rudi zeigte sich höchst erfreut. Auf dem Heimweg schleuderte er vor meinen Augen die beiden überflüssigen Schuhe in einen Abfallcontainer. Leider hatte er sich vertan und genau das falsche Paar entsorgt; als er den Schaden bemerkte, hatte man den Container bereits abtransportiert. Bis zum heutigen Tag erzählt er gern von der größten Fehlleistung seines Lebens.
    Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit überredete mich Rudi zum Kauf einer teuren und anfälligen Espressomaschine, die einzig und allein ihm gehorchte. Aber es machte Eindruck auf die Kundschaft, wenn er ihnen den schwarzen Trank in einem Meißner Täßchen servierte. Schon nach ein paar Wochen glich mein kleiner Laden häufig einer Bar, weil sich immer ein paar seiner Freunde auf einen kleinen Schwatz bei uns einfanden. Anfangs war ich skeptisch, denn die jungen Herren waren ja nicht zum Kaufen erschienen, aber mit der Zeit wurde ich fast süchtig nach ihren Besuchen. Seit meiner Schulzeit hatte ich nicht so viel gelacht, und auch meine Stammkunden wurden angelockt und amüsierten sich über lockere Sprüche. Rudis Freunde waren außerdem gut erzogen und wußten sofort, wenn sie beim Verkauf eines Wertobjekts im Wege standen, und verzogen sich schnell und diskret.
    Es belustigte mich schon ein wenig, daß Christian auf meinen Mitarbeiter eifersüchtig war wie auf einen jüngeren Bruder, während Rudi im Gegenzug meinem Sohn mit blankem Mißtrauen begegnete.
    Im übrigen war Rudi ehrgeizig, zuverlässig, intelligent und eine wirkliche Entlastung. Als ich ihm Jahre später meine Goldgrube überließ, war ich mir sicher, daß auch Percy mit diesem Nachfolger zufrieden gewesen wäre.

4
    Einmal im Monat rufe ich Rudi an, um mich nach seinem Befinden und dem Stand der Geschäfte zu erkundigen. Diesmal kommt er mir zuvor.
    »Du wirst es nicht glauben, Lore«, beginnt er aufgeregt, »ich habe mich verknallt!«
    Ich glaube ihm sofort. In den Jahren unserer Zusammenarbeit hat sich Rudi relativ oft ver- und entliebt, stets mit dem gleichen Enthusiasmus zu Beginn und mit der gleichen Enttäuschung am Ende. Inzwischen ist er Ende Dreißig und benimmt sich zuweilen immer noch wie ein Teenager. Dabei habe ich ihn wiederholt belehrt, daß man zwar als Jugendlicher alle paar Monate neu entflammen kann, als Erwachsener aber nicht mehr so oft, schließlich nur alle sieben Jahre und im Alter ziemlich selten. Vielleicht gar nicht mehr.
    Ich habe schon häufig überlegt, wie und wo ich mit über Siebzig überhaupt die Chance hätte, einen passenden Partner zu finden. Vielleicht machen es die deutschen Rentner richtig, wenn sie ihren Lebensabend auf Mallorca oder Teneriffa verbringen. Dort kann man unter freiem Himmel essen, und ein unverfängliches Kennenlernen wird erleichtert. Aber will ich das überhaupt?
    Da bin ich ganz anders als Anneliese, sie liest immer noch die Kontaktanzeigen überregionaler Zeitungen. Dabei schimpft sie lauthals los, weil fast alle Männer schlanke Frauen bevorzugen. Sollte ich mit Anneliese probeweise mal nach Mallorca reisen? Nur setzt sie sich leider in kein Flugzeug.
    »Hörst du mir überhaupt zu?« unterbricht Rudi meine Gedankengänge.
    »Was sagst du? Frisch verliebt? Das ist aber fein«, lobe ich meinen früheren Mitarbeiter, »kenne ich ihn?«
    »Unmöglich«, sagt Rudi, »er lebt in Hamburg. Es ist eine reine Wochenendbeziehung, aber die laufen oft besonders gut.«
    »Und wie läuft der Laden?«
    Leider schlecht, vernehme ich und mache mir Sorgen. Woran kann es liegen? Rudi hat aus dem Nachlaß eines Adelshauses den gesamten Schmuck aufgekauft. Um den hohen Preis zahlen zu
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