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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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jüngere Frau bevorzugen. Schadenfroh denke ich an Udo und muß schmunzeln.
    »Was ist?« fragt Anneliese.
    »Irgendwie gibt es schon eine ausgleichende Gerechtigkeit«, sage ich, ohne zu erläutern, wie ich darauf komme. »Udo hinkt seit geraumer Zeit nur noch auf Krücken herum. Seine zweite Frau hatte es zwar eine Weile ganz nett mit ihm, aber sie hat nicht bedacht, wie schnell das zu Ende gehen kann. Genau wie Hardy dich in seinen letzten Jahren tyrannisierte, so quält Udo jetzt meine Nachfolgerin und fordert von früh bis spät ihre Anwesenheit. Keine Reisen mehr, keine Einladungen, keine Theater- oder Kinobesuche. Ihr Tag ist ausgefüllt mit Krankenpflege und Diätküche.«
    »Mir kommen die Tränen! Sag bloß, du bedauerst sie?« fragt Anneliese.
    Wir lachen beide. Ich bin natürlich heilfroh, daß ich heute frei bin wie ein Vogel.
    »Aber mal ganz ehrlich«, sagt sie, »sind wir denn viel besser als die Männer? Wenn du wählen könntest – gefiele dir ein hübscher junger Typ nicht auch besser als ein alter Knacker? Wenn ich die Chance hätte …«
    »Ach geh«, sage ich, »du würdest dich doch nicht im Ernst in einen Kerl verlieben, der dein Sohn sein könnte?«
    »Unsere Kinder sind längst keine Jugendlichen mehr«, meint Anneliese, »sondern seit zwanzig Jahren erwachsen. Und dein Sohn Christian ist so süß, daß ich ihn auf der Stelle vernaschen könnte!«
    Wie redet sie bloß! Macht sie Spaß? Ich bin etwas befremdet.
    Anneliese kichert über meine mißbilligende Miene und ärgert mich nun ganz bewußt: »Wenn am Donnerstag dein Mitarbeiter kommt, darfst du ihn keine Minute mit mir allein lassen.«
    Doch in Rudis Fall muß ich mir keine Sorgen machen.
     
    Im Grunde stimme ich mit Anneliese überein. Selbstverständlich ist es lustiger, mit jungen Menschen zusammenzusein, denn leider nimmt das Lachen mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab. Ein Kleinkind kann sich noch hinschmeißen vor Vergnügen, Backfische wollen nicht mehr aufhören mit ihrem Gegacker, auch in mittleren Jahren wird man noch gern im Freundeskreis Witze austauschen und ein wenig herumalbern. Aber irgendwann, fast schleichend, verschwindet das Lachen. Wenn man sich die dumpfen Gesichter so mancher Senioren anschaut, dann vergeht einem sowieso der Humor. Aber muß die Anziehungskraft jugendlicher Fröhlichkeit gleich etwas mit Sex zu tun haben? Sicherlich auch. Nachdem unser Sohn Christian ausgezogen war, haben Udo und ich kaum mehr miteinander geschlafen, denn der Sonnenschein war aus unserem Haus gewichen und hatte einer dauerhaften Regenperiode Platz gemacht. Sollte ich Udo nicht allmählich verzeihen, daß er sich, wenn auch auf meine Kosten, noch ein paar gute Jahre mit einer jüngeren Frau gegönnt hat? Wenn er demnächst im Rollstuhl sitzt, wird er kaum mehr Grund zur Heiterkeit haben.
     
    Weil ich meinem geschiedenen Mann jetzt so weise und großzügig verzeihen möchte, werde ich auf einmal traurig. Abschied nehmen heißt die Parole eines Frauenlebens. Zuerst von der Geborgenheit im Elternhaus, dann von der jugendlichen Unabhängigkeit, schließlich von den Kindern, vom Partner, vom Sex, vom Beruf, von der Gesundheit, Vitalität und weiblichen Attraktivität. Nun nehme ich auch noch Abschied von einem großen Gefühl: meiner Wut.
    Das Leben ist ungerecht. Ich bin schlank und gepflegt geblieben, aber es hat weder zu meiner inneren Zufriedenheit beigetragen, noch das Begehren eines Mannes geweckt. Anneliese ist kugelrund und zieht sich an wie Kraut und Rüben. Dabei ist sie erstaunlicherweise überhaupt nicht unglücklich. Mein Sohn hat sofort erkannt: Eine fröhliche Dicke tut einer sauren Zitrone überaus gut.

5
    Mein Gast kommt früher als angekündigt. Ich bin mit meinem Make-up noch nicht fertig, und Anneliese öffnet ihm die Tür. Als leidenschaftliche Gärtnerin hat sie heute schon stundenlang in der Erde gebuddelt und trägt eine lila Plastikschürze über den großblumigen Bermudas und der rumänischen Trachtenbluse. Im Gegensatz zu ihr ist Rudi immer sehr sorgfältig gekleidet.
    Anneliese brüllt: »Loooore!« durch das Treppenhaus, und ich beeile mich, meine Perlenkette überzustreifen. Wenn jemand Sinn für schönen Schmuck hat, dann ist es Rudi.
    Wir freuen uns beide über das Wiedersehen und umarmen uns herzlich. »Schau mal! Maßanfertigung!« sagt er stolz und deutet auf seine Füße.
    Auch Anneliese starrt wie gebannt auf Rudis Schuhe, die deutlich sichtbar zwei verschiedene Größen haben.
    Nachdem ich
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