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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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mir zwar gelegentlich einen Strauß mitgebracht, aber es waren meistens weiße Blumen, die er selbst für die edelsten hielt.
    »Vor einer Ewigkeit«, sage ich, »und wie sieht es bei dir aus?«
    »Es ist noch nicht besonders lange her«, sagt sie grinsend.
    Doch Anneliese hat es faustdick hinter den Ohren. Womöglich hat sie sich im Winter selbst einen Rosenstrauß gekauft.
    In bester Laune fängt sie nun an zu singen: »Man schenkt sich Rosen nicht allein, man gibt sich selber auch mit drein …«
    Natürlich kenne ich dieses Lied. Als halbe Kinder sahen wir gemeinsam den Film Schenkt man sich Rosen in Tirol und schwärmten für Johannes Heesters.
    »Weißt du, wer noch mitspielte?« frage ich. Anneliese hat ein weit besseres Gedächtnis als ich. Leider entfallen mir die Namen von bekannten Schauspielern, selbst wenn ich mich an ihre Gesichter noch genau erinnere.
    »Marte Harell, Hans Moser und Theo Lingen«, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. »Mein Gott, ich würde diesen alten Schinken gern wieder einmal anschauen. Ob man sich totlachen würde oder wie damals tief beeindruckt wäre?«
    Man könnte ja versuchen, eine Videokassette aufzutreiben, überlege ich, Christian weiß sicher, wie man das anstellt.
    Zum zweiten Mal beginnt Anneliese zu trällern. Sie hat immer noch eine kräftige Stimme, als junges Mädchen wollte sie Operettensängerin werden.
    Auch meine Berufsträume sind nicht in Erfüllung gegangen, weil sie im wahrsten Sinn des Wortes ein wenig hochgesteckt waren. Mit fünfzehn wollte ich Pilotin werden wie mein großes Vorbild Elly Beinhorn, die bereits 1928 am Steuerknüppel saß. Nach dem Abitur erfuhr ich allerdings, daß Kurzsichtige für diesen Beruf nicht in Frage kamen und man in der Nachkriegszeit junge Frauen sowieso lieber als Stewardessen ausbildete.
    »Denkst du manchmal daran, daß du gern ein Star geworden wärst?« frage ich. »Und ob du als berühmte Sängerin wohl das große Glück gefunden hättest?«
    Anneliese überlegt nur kurz. »Ist schon lange kein Thema mehr. Vielleicht wäre ich mit der Zeit eine depressive Säuferin geworden, denn für eine große Karriere hätte meine Stimme niemals ausgereicht. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn die Rosinen im Kopf irgendwann in den Magen hinunterrutschen und am Ende verdaut werden.«
    Doch dann lenkt sie schnell vom Thema ab: »Nun sieh dir doch mal diese Wolke an!«
    Ich erkenne gleich, was sie meint. Da oben reitet eine Hexe. Am kühn gebogenen Kinn sprießen ein paar lange Haare, der Mund ist grimmig zusammengepreßt.
    »Sieht uns fast ein bißchen ähnlich«, scherze ich. Wir waren einmal zwei bildhübsche Mädchen. Ich war mir dessen allerdings nicht bewußt und mochte nicht gern in den Spiegel gucken, aber die Fotos von damals können nicht lügen. Udo war der erste, der mir Komplimente machte, und ich ging ihm sofort auf den Leim.
    Anneliese wurde dagegen ständig umworben. Sie hatte schon mit Fünfzehn einen üppigen Busen, aber eine schmale Taille und natürlich nicht den Michelinreifen um die Hüften, der sie jetzt so schwerfällig macht.

Gestern betraten wir eine Boutique, denn Anneliese wollte ihrer Tochter zum Geburtstag eine Bluse kaufen. Obwohl wir Beratung brauchten, wurden wir vom Personal ignoriert. Meine Freundin nahm das gelassen hin und wartete ergeben, während ich irgendwann schimpfte und mich heute noch ärgere. Zum Abreagieren lud ich Anneliese in ein Bistro ein und verlangte schon an der Theke: »Zweimal Prosecco und zwei Portionen von diesem Salat!« Ich deutete auf eine Kristallschale.
    »Aber das ist Hummer!« protestierte die Kellnerin fast entsetzt, als ob sich zwei ältere Frauen nicht schon morgens um elf eine Delikatesse leisten könnten.
     
    Es sind nicht bloß arrogante Verkäuferinnen, die Frauen in unserem Alter kaum beachten. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, trifft mich fast nie ein männlicher Blick. Sollten aber junge Männer wider Erwarten Interesse zeigen, dann höchstens für mein Portemonnaie. Und bei Anneliese sind sie wohl am ehesten scharf auf Großmutters Küche. Mit über Siebzig wird man als Frau nicht mehr wahrgenommen, eine Ausnahme sind höchstens ehemalige Filmschauspielerinnen oder sonstige Prominente.
    Anneliese sieht das anders. Angeblich kennt sie genug Opas, die ihr hinterherpfeifen, beobachtet habe ich es bisher nie. Flötende Rentner wären ohnedies nicht mein Fall. Ich habe genug von älteren Herren, die zur Wiederbelebung ihrer Potenz eine zwanzig Jahre
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