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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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nähert, immer höher ansteigt, bis sie in Gischt und Schaum zu brechen droht.
    Ganz am Rande seines Bewusstseins klang eine glockenhelle Stimme an sein inneres Ohr, die ihn warnte, die ihn zu fliehen hieß. Es war nicht die Stimme der tanzenden Frau.
    Er versuchte das Gesicht der Frau zu erkennen. Aber die Lichtergarben entzogen es jedem klaren Blick. Immer wieder verliefen die Konturen, verfestigten sich unerwartet und zeigten Ähnlichkeit mit den Gesichtern von Frauen, die Dalio von früher her bekannt waren, und waren nicht einige von ihnen schon tot? Und waren nicht einige von ihnen eines gewaltsamen Todes gestorben? War das alles ihr Werk?
    Als wollte ihn eine gezielte Böswilligkeit narren, als dienten die Bilder allein dazu, die tatsächliche Persönlichkeit jener Frau vor ihm zu verbergen, hörte der Wechsel nicht auf, hielten die Bilder nicht an, tat jene namenlose Frau nichts dazu, sich zu erkennen zu geben.
    Dalios Stimmung schlug jetzt deutlich um. Was sollte diese Geheimnistuerei? Die Angst, sich in alledem zu verlieren, stieg in ihm auf. Verzweifelt versuchte er, wieder in seinen Körper zu kommen, ihn in Bewegung zu zwingen, ihn seinen irdischen Funktionen wieder zuzuführen. Er mobilisierte fast übermenschliche Kraft, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Es gelang. Das Körpergefühl kehrte zurück und damit auch sein normales Sehen und Wahrnehmen, sowie der Schmerz. Vor ihm stand die namenlose Frau mit unendlich traurigen Augen und Tränenspuren auf ihren Wangen. Dalio verstand nicht und streckte seinen rechten Arm nach ihr aus. Er schrie auf. Der Schmerz, der ihn schon einmal so irritiert hatte, sprang in seiner Schulter hoch. Er verbiss die Schärfe des Gefühls und sah die Frau fragend an. Sie führte ihn zu dem großen Ankleidespiegel, dessen stumme Silberfläche nun keine Sonnengarben mehr versprühte, sondern nur noch ein stiller Zeuge war. Die Frau drehte Dalio vor dem Spiegel, so dass er seinen Rücken sehen konnte. Sie riss ihm Jacke und Hemd von der Schulter. Dalio erkannte eine blutleere, weiß verfärbte, etwa handgroße Stelle, die jener verheerenden Händespur im Gesicht des Wirtes vom Café Husack grausam ähnlich sah. Der Ausdruck von Traurigkeit im Gesicht der Frau war einem absolut starren Lächeln gewichen, das Dalio erst recht erschütterte. Wie von Sinnen raffte er seine Kleidung zurecht und verließ fluchtartig das Haus. Er irrte in dem unübersichtlichen Straßengewirr umher, bis er schließlich im Morgengrauen am Ufer der Seine eine Brücke fand, die ihm bekannt erschien. Sie führte ihn tatsächlich in eine ihm bekannte Gegend. Schließlich erreichte er völlig entkräftet seine Wohnung, wobei das Ersteigen der Treppe zu guter Letzt noch ein beinahe unüberwindliches Hindernis darstellte.
    Die vorletzte Begegnung mit jener Frau erwies sich ebenfalls als sehr eigenartig. Etwa sechs Wochen nach den geschilderten Geschehnissen erschien Serafin, ein Freund Dalios, in völliger Aufregung gegen 17.00 Uhr in dessen Studio. Seine Schwester Josefa, so stammelte er dem geduldig lauschenden Dalio entgegen, sei das unschuldige Opfer eines tödlichen Verkehrsunfalls geworden. Die Polizei habe bei ihm angerufen und ihn rücksichtslos aufgefordert, die bedauernswerte Schwester im Leichenschauhaus am Place Furstenberg zu identifizieren. Nun sehe er sich selbst aber keineswegs und keinesfalls in der Lage, diesem Ansinnen nachzukommen. Zu sehr habe er seine Schwester geliebt. Zu sehr habe ihn dieser Unfall erschüttert. Er wage es deshalb, mit Rücksicht auf seinen erbarmungswürdigen Zustand, Dalio zu bitten, die notwendige Identifizierung vorzunehmen.
    Dalio hatte Serafins Schwester Josefa nur als etwas oberflächliche, aber freundliche und lebhafte Frau gekannt. Sie sich als tot vorzustellen, war ihm ein äußerst unwirklicher und unwillkommener Gedanke. Sein Bedarf an Unheimlichem war an und für sich gedeckt. Und jetzt noch Josefa zu identifizieren...
    Aber letztlich siegte das Pflichtgefühl. Er wollte seinen Freund nicht im Stich lassen. So ließen sich die beiden unverzüglich zum Leichenschauhaus fahren. Dalio trat ein, während Serafin im Wagen wartete. Serafin hatte ihm eine Vollmacht verfasst. Dalio erledigte die Formalitäten mit dem Beamten am Eingang des Hauses und wurde von einem weißbekittelten ältlichen Angestellten durch die langen Gänge des alten Gebäudes in den Kühlkeller geführt.
    "Nahe Verwandte?" , wollte der Weißbekittelte wissen. Dalio verneinte und meinte so
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