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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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eingeschüttet. Ohne viel Federlesens.
    Alef hatte zu Hause seiner Kartei entnommen, dass Herr Ganters einer ansässigen Bauernfamilie entstammte, während Brigitte aus dem Ruhrgebiet zugezogen war.
    Die Mutter stützte sich auf die Tischplatte, beugte den Kopf und weinte. Tränen tropften auf ihre dicken Arme.
    "Sie war ja so schwach zum Schluss. Ich konnte sie überall hintragen."
    "Sie wohnen hier?", fragte Alef.
    "Ja! Ich bin vor zwei Jahren aus Mülheim gekommen, als mein Mann gestorben war. Die beiden hatten ja Platz. Es waren keine Kinder da ."
    Alef schätzte die Frau auf ungefähr sechzig Jahre.
    "Und dann wurde Brigitte krank."
    "Unterleibskrebs. War ja gut, dass ich da war. Er muss ja immer arbeiten. Da konnte ich mich um alles kümmern. Meine Güte, sie war ja so schwach. Ich habe ihr alles abgenommen. Sie war ja so ein lieber Mensch."
    "Sie wollten keine Kinder?", wandte sich Alef an den Ehemann.
    Er schüttelte nur den Kopf. Er sah so blass aus, so mittelmäßig in jeder Beziehung: Mittelblond, mittelblaue Augen, mittelstarker Körperbau und keine Stimme.
    "Sie wollte ja immer Kinder haben", sagte Mutter. "Aber er konnte sich nicht entschließen."
    "Was war sie für ein Mensch? ," fragte Alef."Sie war immer lieb. Ich habe mit ihr nie Probleme gehabt", und dann führte sie dieses 'lieb sein' in allen Farben aus, so dass vor Alefs geistigem Auge das Bild eines gut dressierten Pudels entstand, der auf Kommando hörte."Gab es von Seiten der Ärzte keine Erklärung für die Krankheit?"
    "Nein", sagte die Mutter und sah Alef an, als habe er etwas sehr Unanständiges gefragt. "Nein, es war eben Krebs!" , sagte sie etwas trotzig, als sei damit alles erklärt und sie verstände gar nicht, was dieser Pfarrer noch mehr wissen wollte.
    Dann fuhr sie fort: " Sie hat doch so gerne gearbeitet und auch so einen guten Mann gekriegt."
    Geradezu unanständig, dachte Alef voll hilfloser Ironie, bei so optimalen Lebensbedingungen Krebs zu bekommen: Der Krake im Altenheim und dann noch Mutter Vampirella zu Hause.
    Die Frau sah Herrn Ganters bei ihren Worten so seltsam unterwürfig von der Seite her an. Noch einmal wandte sich Alef an den Ehemann: "Was wollen Sie jetzt tun, werden Sie weiter hier leben?"
    Der Mann zuckte die Achseln.
    Statt seiner warf die Mutter mit gekünstelter Munterkeit ein: "Natürlich bleibt er hier. Ich sorge doch für ihn."
    Er antwortete nicht.
    Eine Spur von Verzweiflung überschattete das Gesicht der kräftigen Frau.
    "Seine Familie war nämlich gegen ihre Hochzeit. Dabei sind wir immer mit in ihre Kirche gegangen. Jetzt wollen sie, dass er wieder auf den Hof zurückzieht."
    "Und was wird dann aus Ihnen?" , fragte Alef.
    Die Verzweiflung verstärkte sich. Ihr schienen die Worte zu fehlen, was ihre Zukunft betraf.
    Schweigen breitete sich aus wie Altöl auf dem Rhein.
    Vielleicht gehört die Frau zu jenen ungeschickten Blutsaugern, denen das Opfer stirbt, dachte Alef und deren neues Opfer sich weigert, den Hals hinzuhalten.
    Und worüber soll ich predigen? Alef raffte sich zusammen. Er stellte den trauernden Hinterbliebenen den Verlauf der Beerdigung vor. Die Bibelstelle für die Predigt wolle er sich noch offenhalten. Dann verabschiedete er sich ziemlich rasch. Er hielt diese bedrückende Atmosphäre des hemmungslosen Selbstmitleids nicht länger aus.
    Es wurde eine große Beerdigung. Fast das gesamte Personal des Altenheimes war gekommen. Auch Schwester Oberin. Allerdings niemand aus der üblichen Gottesdienstgemeinde. Schwester Brigitte war in evangelischen Kreisen nicht bekannt gewesen.
    Alef predigte über den Krebs als schrecklicher Fehlfunktion des Zellenwachstums, als scheinbar verrückte Reaktion des Körpers, die in Wirklichkeit sein letzter und absurder Schrei ist, der auf keinen Fall überhört werden dürfe. Der Schrei bedeutet: Mit meinem Leben läuft etwas abgrundtief verkehrt. Alef predigte nicht nur, er wurde zu Jesaja. Aus einem geheimnisvollen Grund erinnerte er sich an Jes.40. Und di esmal las er die Verse in der normalen Luther-Übersetzung. Er hatte einfach das Gefühl nichts verändern zu dürfen. Vielleicht hätte er das damals bei dem Kraken auch nicht machen sollen.
    (28)Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. (29)Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. (30)Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und
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