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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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bisschen Konversation zu machen: "Wie geht es Ihnen?" , fragte er mit etwas brüchiger Stimme.
    Sie legte ihm von oben herab ihre Hand auf den Arm und fuhr mit dem Zeigefinger über seine Lippen. Sie bedeutete ihm zu schweigen und gleichzeitig enthielt die unaussprechliche Zartheit ihrer Berührung eine besondere Botschaft. Das Gefühl ihrer Fingerkuppe auf seinen Lippen breitete sich in Dalio aus wie Wellen sich auf einem Teich ausbreiten, wenn Du einen Stein hineinwirfst. Es durchflutete seinen gesamten Körper und setzte in ihm jegliche Empfindung für das Geschehen außerhalb dieser seltsamen Zweisamkeit außer Kraft. Die Reste vernünftiger Überlegungen verwischten, wurden unscharf, zerschmolzen wie Schnee in der Sonne. Ganz von ferne hörte er ihre Stimme klingen, sanft, monoton. Der Klang löste verwirrende Gefühle und betäubende Bilder in ihm aus. Gleichzeitig versank er in eine ihm bis dahin unbekannte tiefe Ruhe. Doch diese Ruhe hielt nicht lange an.
    Jäh erwachte Dalio aus dem Zustand hingegebener Trance, als er einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter spürte. Der Schmerz nahm rasch zu und brachte Dalio unaufhaltsam in die Realität zurück. Er riss die Augen auf und sah auf die schmerzende Schulter. Zunächst konnte er nichts Verdächtiges entdecken, außer der ganz entspannt auf ihr ruhenden Hand der namenlosen Unbekannten.
    Der Schmerz näherte sich rasend schnell der Grenze des Erträglichen. Dalio versuchte aufzuspringen. Doch er spürte verdutzt, dass ihn seine ganze gewohnte Kraft verlassen hatte und seine Beine ihm nicht mehr gehorchten. Hilflos sank er vornüber in die Arme der Frau, die er nicht kannte, die keine Türen brauchte und deren Kräfte die seinen bei weitem überstiegen. Sie zog ihn zu sich herauf, sah ihn liebevoll und gelassen an. Wenn dieser unerträgliche Schmerz nicht gewesen wäre, hätte Dalio glauben können, sie wollte ihm nur Gutes.
    Wieder sprach sie auf ihn ein, und Dalio verstand kein Wort. Gerade als er zu schreien anfangen wollte, wurde die Frau formloser, durchsichtiger und verschwand vor seinen Augen. Dalio brach am Ende seiner Kräfte zusammen.
    Am nächsten Morgen erwachte er neben der Sitzgruppe auf dem Teppich liegend. Nichts in seiner Wohnung wies auf den seltsamen nächtlichen Besuch hin. Allein der Schmerz in der Schulter blieb ein Zeuge des nächtlichen Erlebnisses. Als sich Dalio aufrichtete, spürte er ihn, nicht so stechend wie im Augenblick seines Entstehens, eher wie ein taubes Gefühl, in der Tiefe mit einem dumpfen Pochen angefüllt. Dalio stand auf, machte sich sein Frühstück und versuchte sich darüber klar zu werden, was mit ihm geschehen war.
    Dalio warf sich nach dieser zweiten Begegnung mit der Namenlosen in rastloses Schaffen. Seine intensive Arbeit führte ihn in eine gewisse Zufriedenheit, nachgerade eine neue Gelassenheit. Gegen Abend spürte Dalio allerdings, wie ihn seine Konzentration immer mehr verließ. Die Gelassenheit verflog und machte einer neuen Anspannung Platz.
    Die zweite Illustration der Kurzgeschichte war nun fast fertiggestellt. Es handelte sich um die Begegnung des Helden mit der Todesbotin. Die Botin geleitet den Helden in einem Nachen über den schwarzen Todesfluss. Dalio spürte die Spannung zwischen dem Mann und der Frau so stark, dass ihm beim Malen gewisser Linien sogar der Schweiß ausbrach.
    Je dunkler es wurde, nahm auch die Angst vor einer weiteren Erscheinung zu. Dalios konzentrierte Gedanken begannen zu zerfließen, seine Handlungen verloren sich ins Unbestimmbare und Ungenaue, bis er erschöpft, allen rastlosen Herumrennens und fruchtlosen Aufräumens müde, wieder an seinem flachen Tisch Platz nahm. Die Situation ähnelte nun der gestrigen sehr, und Dalio überlegte schon, ob er sich Tee aufschütten sollte, um die Synchronizität der Situation zu fördern. Gleichzeitig hatte er Angst vor einer weiteren Begegnung.
    Vor ihm auf der am Boden liegenden Tischplatte erschien gleich neben dem Teewärmer aus dem Nichts heraus ein ebenholzschwarzes Kästchen, über und über mit phantastischen Schnitzereien verziert. Dalio ergriff das kleine Kunstwerk, tastete die seltsam geformte Oberfläche ab. Er spürte, wie es sich öffnete. Das Kästchen enthielt ein kleines Stück Karton, ähnlich einer Visitenkarte, auf der in zierlicher Schrift aber mit bestimmtem Ausdruck, die Einladung stand: "Hiermit gestatte ich mir, Sie höflich zu bitten, im Café Husack zu erscheinen. Gegen 23 Uhr dürfen Sie mit meinem
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