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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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Eintreffen rechnen."
    Spontan überschlug Dalio, dass er noch etwa eine Stunde Zeit hatte, dieser Einladung aus einer anderen Welt zu folgen. Sich sehr beherrschend und bemüht, seine innere Ruhe wiederzufinden, machte er sich zum Ausgehen bereit. Er wählte den schwarzen Samtanzug, der ihm der dunklen Stunde und der Art der Einladung am besten zu entsprechen schien. Mit erzwungener Ruhe und langen Schritten eilte er die Treppenstufen hinab. Er fand sehr rasch einen Mietwagen, der ihn durch zunehmenden Nebel zum Place de Dornier fuhr. Eigentlich war es noch sehr früh und so redete er sich ein, dass er Zeit brauchte, um den Treffpunkt und seine Umgebung zu sondieren. Der dunkle Märzabend umfing ihn feucht und kalt, als er ausstieg. Eine Gänsehaut überzog seinen Körper, so dass er schon fürchtete, sich in Bezug auf seine Garderobe vergriffen zu haben, denn Feuchtigkeit und Kälte hielt der Samt nicht auf. Samt ist weich, aber nicht warm.
    Mit Kopfsteinpflaster angelegt, umgeben von schwarzen Häuserfassaden, deren Konturen in den sternenlosen Nachthimmel hinein verschwammen, bot der Place de Dornier nicht gerade die Adresse, die man zwecks vergnüglicher Verabredungen Freunden anzubieten pflegte. Dalio wusste, dass irgendwo im Schutze dieser dunklen Fassaden, deren Schwärze nur durch einige gelbe Fensterlichtschlitze durchbrochen wurde, das Café Husack lag. Vor Jahren hatte er von ihm reden hören, aber es war offenbar nicht recht in Mode gekommen. Aus dem nebeligen Dunst heraus traten Dalio zwei Passanten entgegen. Er fragte sie höflich nach dem Weg. Der eine zeigte mit dem Regenschirm nach rechts, nicht ohne dabei einen forschenden Blick auf Dalio zu werfen. Dann verschwanden die beiden wieder in der Dunkelheit. Dalio ging in die ihm gewiesene Richtung. Schon nach wenigen Schritten fiel sein Blick auf ein Schild, das von einem hoch gehängten, schwelenden Licht schwach angestrahlt wurde. Es wies das dazugehörige Gebäude als das Café Husack aus. Ohne lange zu zögern, trat Dalio ein, denn die genannte Stunde nahte. Dalio tauchte im Inneren des Cafés in einen alles überlagernden gelblichen Dunst aus Tabakqualm, Menschenschweiß und kokelnden Kerzen ein. Er nahm erstaunlich viele Gäste wahr, eingedenk der Abgelegenheit dieses merkwürdigen Ortes. Der giftige Dunst schien die Geräusche der zahlreichen Gäste zu dämpfen. Dalio sah heftige Bewegungen, aufgerissene Münder, denen kreischendes Gelächter hätte entquellen müssen. Jedoch nur ein auf- und abschwellendes Gezischel drang an seine Ohren, das von einzelnen Tönen einer Gitarre unterbrochen wurde. Ein offenbar blinder Gitarrist spielte gänzlich in sich versunken auf bemerkenswerte Art, nämlich mit einer Hand. Diese Art zu spielen fand sofort Dalios Aufmerksamkeit. Er trat auf den Blinden zu, der die Gitarre umgehängt hatte, während die feingliedrigen Finger seiner Linken die einzelnen Saiten jeweils am Bund niederdrückten und gleichzeitig anrissen. Leise trat Dalio heran, um das versunkene Spiel nicht zu stören. Er beugte sich jener bewunderungswürdigen Hand entgegen, um besser sehen zu können, wie sie ihr ungewöhnliches Werk verrichtete. Da schoss die verkrümmte Klaue des Blinden plötzlich vor und umfasste Dalios Hals mit solch unglaublicher Kraft, dass ihm sofort jegliches Atmen unmöglich wurde. Der Schreck jagte Dalio heiße Wut in die Adern. Er riss die Pranke des Blinden von seinem Hals und holte zu einem wilden Schlag aus.
    "Lass gut sein, Moses!" , meldete sich eine ruhige Stimme aus der Tiefe des gelblichen Dunstes.
    "Es ist doch nur ein neugieriger Gast." Ein fettleibiger, riesenhafter Wirt war es, der sich unbemerkt genähert hatte, wohl das Unheil schon ahnend, das Dalio mit seinem unbedarften Interesse heraufbeschworen hatte.
    An Dalio gewandt fuhr er fort: "Sie haben ihn mit Ihrer plötzlichen Annäherung erschreckt. Als Blinder hört er nämlich sehr gut. Und er ist so unglaublich misstrauisch. Möchte der Herr etwas trinken und vielleicht an der Theke Platz nehmen? Heute ist es sehr voll."
    Er rieb sich bei diesen Worten die beachtlich großen Hände. Dalio bestellte einen Campari und folgte dem Wirt. Der Blinde nahm sein virtuoses Spiel, das entfernt Ähnlichkeit mit einem Glockenspiel hatte und so gar keine Beziehung zu der brutalen vorangegangenen Szene, wieder auf.
    Dalio näherte sich der Theke, die aus dem Inneren des Raumes heraus auf Dalio zukam wie ein Schiffsbug. Auf dem breiten Schankbord entdeckte Dalio eine
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