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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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Dalio wurde es schwarz vor den Augen, seine Knie begannen zu zittern. Er versuchte zu schreien, aber er bekam keinen Ton über die Lippen. Seine rechte Hand schien an der seltsamen Erhöhung auf dem Bild wie festgewachsen zu sein, und der bekannte Schmerz in seiner Schulter steigerte sich ins Unerträgliche. Während er litt und seine Kräfte nachließen, deckte ihn das Schweigen im Hause Fochier zu, wie ein dichter, dunkler Mantel. Seine eigenen Bilder sahen seiner schrecklichen Verwandlung zu und blieben stumm.
    Ein letztes Mal wollte der Galerist Gerald Fochier heute seine Runde drehen, nicht etwa, um noch einmal die Bilder zu betrachten. Die hatte er nun wahrlich oft genug gesehen. Vielmehr um zu verhindern, dass irgendein ganz Schlauer sich einschließen ließ, um später dann eines oder mehrere dieser Kunstwerke in aller Ruhe auszusuchen und mitzunehmen. Plötzlich verhielt er seinen Schritt. Er hörte undeutliche Geräusche, Stöhnen, Scharren, Knarren. Kein Zweifel, er war nicht allein. Fochier eilte der Geräuschquelle nach, wütend, wie ihn alle Störungen in seinem Leben mit Wut zu erfüllen pflegten. Dort musste es sein, hinter jener Trennwand. Aber da war nichts.
    Still hingen die Bilder, kein Laut war mehr zu hören, alles schien unverändert. Bis auf dieses Bild. Fochier konnte von sich nicht behaupten, dass er die Werke, die Künstler bei ihm auszustellen pflegten, jemals allzu genauer Betrachtung unterzogen hätte. Er pflegte sie kurz an der Vorstellung zu prüfen, die er selbst vom Publikumsgeschmack hatte, und, die Ergebnisse dieser Blicke blitzschnell addierend, die Kosten der Ausstellung sofort zu berechnen. Aber bei diesem Bild fiel ihm trotz seiner ihm eigenen Oberflächlichkeit auf, dass es sich verändert hatte, und zwar wesentlich. Rasch nahm er einen der herumliegenden Kataloge zur Hand, schlug die entsprechende Seite nach, auf der dieses Bild notiert und in einer kleinen Skizze abgebildet war. Und sofort fielen ihm die Unterschiede ins Auge. Die "neue" Namenlose ließ sich so beschreiben: Im Vordergrund eine sehr bizarre, aufgebrochene offenbar leere Schmetterlingspuppe. Im Mittelgrund eine Frau(die Fochier flüchtig zu kennen glaubte), umgeben von dunklen Häusern. Im Hintergrund ein Schmetterling, der den Wolken entgegen tanzte. Fochier sah sich dieses völlig veränderte Bild genauer an. Dieser Schmetterling ist stümperhaft gemalt, dachte er. Der tanzt nicht, der sieht aus wie an die Wolken geklebt, mit hellblauen, irgendwie zerbrochen wirkenden Flügeln. Fochier trat wieder etwas vom Bild zurück. Mit diesem Künstler musste er morgen unbedingt ein ernstes Wort reden. Das ging natürlich nicht an, ein Bild während der Ausstellung umzumalen. Schließlich waren sie eine Galerie, kein Atelier. Die Bilder sollten sich keineswegs verändern.
     

Turm
    Den ganzen Tag über hatte Armand Baustellen kontrolliert, sich mit säumigen und pfuschenden Handwerkern und mit drängelnden Kunden herumgeschlagen. Jetzt war er völlig fertig. Stöhnend ließ er sich in seinen BMW fallen. Er griff nach seinem Funktelefon, tippte, vertippte sich. Es tutete sehr disharmonisch. Armand fluchte. Irgendwie verstand er sich nicht mit diesen Gerät. Schließlich klappte die Verbindung zu seiner Frau Monika. Er rief sie gewohnheitsmäßig immer abends gegen sechs Uhr an.
    Kaum hatte er die Worte: "Hallo! Hier ist Armand. Ich komme heute Abend etwas später. Muss noch zu diesem Arbeitsessen bei Helmut", gesprochen, da begann ihr Redeschwall, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sie wußte alles über Sylvia und ihn.
    Monika machte ihm nicht nur Vorwürfe. Sie zerstückelte sein Herz. Mit durchbohrender, glasharter Stimme erklärte sie Armand präzise, was sie von einem alternden, sehr mäßig erfolgreichen Architekten hielt, der einer zwanzig Jahre jüngeren, ebenfalls verheirateten Frau nachlief.
    Armand hängte wortlos ein. Er wusste, dass er sie damit furchtbar ärgerte. Aber er wusste, dass sein Leben so gut wie zerstört war. Theoretisch hätte er sich von Monika trennen können. Aber eben nur theoretisch. Praktisch war er völlig von ihr abhängig. Noch nie war ihm das so klar gewesen wie an diesem noch etwas frischen Maiabend des Jahres 1982 nach fünfundzwanzig Jahren Ehe. Sylvia war nicht die Frau, mit der er hätte zusammenleben können, abgesehen davon, daß sie das auch nicht wollte. Das schmerzte. Aber es schmerzte doch bei weitem nicht so, wie dieses Gefühl der totalen Abhängigkeit von
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