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Kutath die sterbende Sonne

Titel: Kutath die sterbende Sonne
Autoren: C.J.Cherryh
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ihrer Zeit traf Ras ein, machte auf dem Pfad unterhalb der Felsen eine Pause und begann dann müde, zu ihm heraufzusteigen. Nachdem sie es geschafft hatte, sank sie auf den flachen Stein neben ihm, die Arme lose über die Knie hängend, mit schwer atmendem Körper.
    »Hattest du eine gute Jagd?« fragte er, obwohl er wußte, welches Wild sie jagte.
    »Ein Paar Schlangenhalsvögel.« Für sie war das nicht gut. Und es war ein langer Weg, der Ras heimwärts außer Atem gebracht hatte.
    Hlil blickte auf, und im dunkler werdenden Osten erschienen zwei Punkte am Horizont. Der Kel'anth und das Tier, weit voneinander entfernt.
    »Osten«, sagte Ras neben ihm, als sie wieder den Atem zum Sprechen fand. »Immer nach Osten, immer denselben Weg. Allein würde er überhaupt kein Wild mit zurückbringen, aber das Tier scheucht Dinge für ihn auf. Er hält nur inne, um sie aufzusammeln, und er macht lange Schritte, unser Kel'anth.«
    »Ras«, protestierte er.
    »Er weiß, daß ich hier bin.«
    Er hob einen weiteren Stein auf und rollte ihn zwischen den Fingern. Ras ruhte sich einfach aus und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen.
    »Warum?« fragte er endlich. »Ras – laß ihn! Zorn dient keinem Zweck; er wird vergehen, wenn du ihn nicht nährst.«
    »Und du tust es nicht.«
    »Ich bin Zweiter des Kel'anth.«
    »Das warst du auch vorher«, sagte sie und traf damit sein Herz, und einen Moment später betrachtete sie ihn mit etwas von ihrer früheren Zärtlichkeit. »Du kannst es sein. Ich beneide dich.«
    »Ich empfinde keine Liebe für ihn.«
    Sie akzeptierte dieses Angebot schweigend. Ihre Finger stahlen sich wie so oft zu einem der vielen Ehrenzeichen, die an ihren Gürteln hingen. Merais Todesgabe war dieses, aus Niuns Hand.
    »Wir können ihn nicht herausfordern«, sagte sie. »Das Gesetz verbietet es, wenn als Rache für Merai gedacht. Aber es gibt andere Gründe, gerechte Gründe.«
    »Hör auf, daran zu denken!«
    »Er ist sehr gut. Wenn ich ihn herausforderte, würde er mich töten.«
    »Tu es nicht«, sagte er mit verkrampftem Herzen.
    »Du möchtest leben«, beschuldigte sie ihn, und als er es nicht bestritt: »Weißt du, wieviele kel-geborene Generationen hinter mir liegen?«
    »Mehr als hinter mir«, sagte er bitter; die Hitze war ihm bereits ins Gesicht gestiegen. Seine einfache Geburt war etwas, dessen er sich tief bewußt war.
    »Achtzehn«, sagte sie, »achtzehn Generationen. Es kommt mir in den Sinn, Hlil, daß ich hier sitze als letzte einer Linie, die Kel'ein und She'panei hervorgebracht hat. Die letzte. Alle anderen sind tot; Götter, und sie würden Zeiten wie diese nie begreifen. Ich sehe mich um – ich denke nach; vielleicht gehöre ich nicht hierher; vielleicht sollte auch ich gehen, es zu Ende bringen. Und ich denke an meinen Bruder. Merai hat es vor sich stehen sehen, gerade eben den Rand des Horizonts, der uns erwartete. Und ich denke... daß er starb , Hlil. Er war nicht selbst gegen diesen Fremden; er verfehlte einen Hieb, den er hätte zurückgeben können. Ich weiß, daß er ihn hätte erwidern können. Warum tat er es nicht? Aus Furcht? So war Merai nicht. So war es nicht. Was also glaube ich? Daß er beiseite trat, sich dem Tod überließ? Und warum? Wegen dem einen Wort dieser Fremden, daß sie die Verheißenen sind, die Hinausgegangenen? Konnte er so einer Sache im Weg stehen?«
    Hlil schluckte schwer. »Frag mich nicht nach dem, was er dachte.«
    »Ich frage mich selbst. Er konnte nicht vorausschauen. Und dann denke ich: Ich schaue . Ich bin da. Ich bin die Augen meines Bruders. Götter, Götter, er starb in dem Wissen, daß es für eine Sache war, die er niemals schauen oder verstehen würde. Um den Weg freizumachen, weil er dort stand, wo dieser Mann stehen muß. Und ich sehe in Verzweiflung zu... es ist die Wahrheit, Hlil, daß dieser unser Kel'anth unter meinen Augen leben wird; und wenn er das nicht ertragen kann, wenn er sich schuldig fühlt, dann ist es seine Schuld, dann laß ihn sie tragen; und wenn er sich umwendet und mich tötet... wirst du es wissen. Und was du dann machst – das lege ich in deine Hände, Hlil-mein-Bruder.«
    »Ras...«
    »Ich überlasse es dir, sage ich.«
    Sie saßen still und starrten beide auf das dunkelnde Land.

    Das Tier kam mit einem großen Vorsprung an, ein großes warmblütiges Tier, flaumpelzig, stupsnasig und schwer. Seine Tatzen wandten sich einwärts, wenn es ging, sein Kopf schwankte dicht über dem Boden von einer Seite zur anderen, als habe
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