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Kutath die sterbende Sonne

Titel: Kutath die sterbende Sonne
Autoren: C.J.Cherryh
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am nächsten, um ihn zu schützen, sollte sich die Frage von Feinden stellen, die sich ihnen entgegenzustellen wagten; und am weitesten und tiefsten im Innern befand sich das Kath, die Kindererzieher und Kinder. Der stärkste Platz von allen war für die Kinder, von denen sie die meisten in An-ehon verloren hatten, in den Trümmern der Stadt.
    Ein Schlag von oben, nur einer, und es wäre aus mit ihnen gewesen. Niun hatte große Angst davor.
    Er wandte sich einwärts in die Zuflucht, die als Kel-Halle diente, und ging tief hinein. Das Glitzern von Waffengriffen und Ehrenzeichen durchdrang die Düsternis, schattige Gesichter zeigten sich im Licht von Ölholzfackeln. Einer trat zu ihm, ein Kel'en, der die Kel-Narben noch nicht errungen hatte: Taz war sein Name; auf ihn und seinesgleichen entfiel die Last aller Arbeit im Kel. Niun gab ihm die Beutel mit dem Wild in die Hand. »Von mir und Hlil. Bring es dem Kath!«
    Seine Augen machten unvermeidlicherweise Ras ausfindig unter denen, die ihn willkommen hießen. Er ließ den Blick von ihr weg und zu den anderen schweifen, entschleierte sich, wandte sich um, zum Zeichen des Respekts vor dem leeren Schrein, den drei Steinen, die als Symbol des Heiligen aufeinandergefügt worden waren, des Heiligen, das sie auf der Flucht verloren hatten. Der ganze Ort roch nach Ölholz, dem Material das als Räucherwerk diente.
    Die anderen ließen sich nieder, nachdem er sie entlassen hatte. Er trat unter sie, setzte sich neben ein kleines Feuer, das ihnen diente. Ein würfelförmiger Lederbehälter diente ihnen als gemeinsamer Eßnapf, und darin befand sich das Abendessen, ein Ab'aak , vom Kath aus der Jagdbeute anderer Tage zustandegebracht – Fruchtfleisch der Stengelpflanze und alles Fleisch, das zur Verfügung stand. Es gab mehr Fruchtfleisch als Fleisch, um die Wahrheit zu sagen, und es war ohne Salz, ohne Küchengeräte oder andere Annehmlichkeiten zubereitet. Es war ihnen schon schlechter gegangen, aber auch besser. Niun aß, umgeben vom Schweigen der anderen.
    Hlil kehrte zurück, setzte sich zu ihnen, aß seinen Anteil. Danach gab es inhaltslose Gespräche, ein Murmeln über kleine Angelegenheiten von der Art, wie sie zwischen Leuten vorfielen, dir ihr ganzes Leben in dieser Gesellschaft verbracht hatten; aber es geschah selbstbewußt, auf Hal'ari und nicht in der natürlicheren Stammessprache. Es verlief schwankend, und ständig wartete das Schweigen darauf, sie zu umhüllen, wie jeden Abend. Niun saß da und starrte ins Feuer, ließ das Gerede durch sich hindurchfließen und um sich herum, nahm nicht daran teil. Er kannte kaum die Namen der anderen, geschweige denn die der Toten, die nur zu oft in ihren Erinnerungen Gestalt annahmen. Alte Witze waren an ihn verschwendet; zuviel mußte erklärt werden. In Wahrheit weilte sein Bewußtsein anderswo, und vielleicht wußten sie es.
    Er erinnerte sich, wenn er selbst es zuließ. Sein Gedächtnis war dort, wo sein eigenes Kel gelebt hatte, sein Haus, seine Freunde und Gefährten. Er erinnerte sich an das Schiff, und das äußerst lebendig. Die Erinnerung konnte eine Krankheit für ihn werden, und er gestattete sie sich nicht oft, denn sogar die unangenehmsten Dinge umfaßten auch das Vertraute und die Heimat, und die vergangenen Schmerzen waren dumpfer. Es war weise, dachte er, daß das Gesetz des Volkes ihnen befahl, zu vergessen, auf jeder Reise zwischen den Welten... sogar damit aufzuhören, die alte Sprache zu sprechen oder die alten Gedanken zu denken. In die Dunkelheit zu gehen, war in den Mittelpunkt der Dinge zurückzukehren, wo nur das Hal'ari gesprochen wurde, wo Welten nicht von Bedeutung waren, wo keine Vergangenheit existierte und keine Zukunft.
    Selbst auf Kutath folgte man dem, praktizierte das absichtliche Vergessen – alle außer den Gelehrten der Sen-Kaste. Darin lag – vermutete er – die geistige Gesundheit einer so alten Welt. Das Sen erinnerte sich, was kein Kel'en durfte, außer in den Gesängen der Legenden, von denen Niun eine war.
Die Schiffe, die hinausfuhren,
sangen sie über seine Rasse,
Mit den Welten hinter sich...
    Das Geräusch ihrer Stimmen bedrückte ihn wie ihr Schweigen. Er sah auf, erkannte sein Versäumnis, blickte sich zu Hlil um und den anderen Überlebenden der ersten Reihe des Kel, den Ehemännern der She'pan.
    »Wir...«, sagte er, und Schweigen trat ein, strömte bis zu den hintersten Reihen. »Wir sollten über eine Sache nachdenken. Unsere Vorräte... in An-ehon. Und was wir als
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