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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst
Autoren: Guenter Broedl
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aufgeräumt und präsentiert es nun dem, der’s wissen will, in einer an Anekdoten reichen Führung als historische Stätte ihrer Niederlagen. Was völlig im Dunkeln bleibt, ist ihre Familie.
    Ich hör mir, um sicher zu gehen, noch einmal Brunners Solo an, seine Improvisation über den Totenvogel in Doktor Trash’s Kommandozentrale, und danach ist das Polaroid des Mannes, der Frauen lebend bestattet, weil er immer wieder diese eine Frau aus seiner Kindheit töten muß, nicht länger milchig blaß und verschwommen, sondern ganz scharf und deutlich. Keine Ahnung, wie er aussieht. Ich hab ihn noch nie gesehen.
    Aber ich weiß jetzt seinen Namen.
    Der Trainer kommt eine halbe Stunde zu spät, und ich bin ihm dafür dankbar. Zuerst ist seine Rostlaube nicht angesprungen, dann wollte der kleine Hund, dessen Unpäßlichkeit nach ein paar Stunden überstanden war, partout nicht im Wagen bleiben. Jetzt macht sich der Trainer natürlich Sorgen um sein Seelenheil.
    „Vielleicht hat er eine Auto-Phobie?“
    „Möglicherweise liegt es nicht am Wagen, sondern am Fahrstil seines Besitzers“, gebe ich ihm zu bedenken.
    „Ins Witzkisterl gefallen, was?“ sagt der Trainer und winkt dem Quell-Poldl, um sich ein Naturschnitzel mit Reis und ein Krügel zu bestellen.
    „Übrigens: Das mit dem Arbeitsessen wird heut nix. Weil warum? Ich hab ihn!“ sage ich nicht ohne Stolz.
    „Is mir eh lieber. Ich muß gleich nach dem Essen heim zum Hund. Der is das Alleinsein ja nicht gewöhnt.“
    „Hörst du mir eh zu, Trainer?“
    „Immer.“
    „Fein. Und was hab ich vorhin gesagt?“
    „Daß das heut nix wird.“
    „Und?“
    „Was soll die blöde Fragerei?“
    Der Quell-Poldl serviert das Krügel für den Trainer und erkundigt sich nach meinen Wünschen.
    „Ein Taxi“, sage ich.

37
    Der Totenvogel ist ausgeflogen.
    Aber Iris ist da. Hockt im Schneidersitz auf dem Fußboden im Wohnzimmer, kreuzhohl und regungslos, das Gesicht dem Fenster zugewandt, und blickt hinaus in den grauen Nachmittagshimmel und auf den Rohbau einer Wohnhausanlage der Gemeinde Wien, der aussieht wie eine Bienenwabe nach dem pestiziden Holocaust. Sie hockt da wie Dustin Hoffman am Ende von „Little Big Man“, als er am Berg der Erkenntnis Abschied nimmt von einem Zeitalter, das unwiderbringlich vorüber ist. In Hoffman’s Wildem Westen fallen bald die ersten schweren Tropfen eines Regens, der alles wegwaschen wird, auf das Gesicht des kleinen großen Mannes, in dessen zerfurchter Landschaft man nachlesen kann, daß kaum etwas, das einem im Leben an Freud und Leid geboten wird, an ihm bloß vorübergegangen ist. In Wien-Floridsdorf, im sechsten Stock eines Neubaus aus den siebziger Jahren, sind es Tränen, die jetzt über Iris Fabians Wangen laufen.
    Brunner kniet sich hin und legt Iris die Hand auf die Schulter.
    „Keine Angst, Frau Fabian“, sagt er. „Wir sind ja da, der Herr Doktor und ich.“
    Dann zieht er ein großes weißes Taschentuch aus seiner Jackentasche und drückt es Iris in die Hand. Ich stehe immer noch in der Tür, die vom stockfinsteren Vorzimmer in den Wohnraum führt. Auf den ersten Blick weist nichts darauf hin, daß wir zu Besuch bei einem Serienmörder sind. Der Doc weiß über amerikanische Kollegen des Totenvogels zu berichten, daß sie die Schädel ihrer Opfer im Kühlschrank stapeln, Leichenteile unterm Bett verwahren oder die abgezogene Haut zu Lampenschirmen verarbeiten. Hier ist alles adrett, sauber und aufgeräumt, und es riecht nach Anisbrot und Lebkuchen.
    „Eigentlich hab ich es in dem Augenblick gewußt, als Sie mich nach der Auhofstraße gefragt haben“, sagt Iris zu Brunner. „Oder ich hab es immer gewußt, aber es durfte ganz einfach nicht wahr sein.“
    Iris schneuzt sich, und Brunner ist ihr beim Aufstehen behilflich.
    „Da“, sagt sie und zeigt auf ein halbes Dutzend Aktenordner in einem Bücherbord und auf dem Schreibtisch. „Er hat ganz genau Buch geführt. Alles dokumentiert. Genau wie Sie gesagt haben.“
    Sechs Opfer. Sechs Ordner.
    Fünf sind fein säuberlich mit schwarzem Filzstift beschriftet. Begräbnisdaten:
    19. Februar 1995
1090, D’Orsey-Gasse 12
    27. November 1995
1170, Haberlgasse 16
    4. April 1996
1060, Mollardgasse 4
    12. August 1996
1050, Bacherplatz 3
    9. November 1996
1130, Auhofstraße 238
    Es gibt also noch zwei weitere Leichen, die bis heute nicht gefunden wurden, in ihren Gräbern in der Haberlgasse und am Bacherplatz liegen und auf Exhumierung warten.
    Als ich vor knapp zwei Stunden
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