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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst
Autoren: Guenter Broedl
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Bad. Verfliest und mit Wanne. Sozusagen ein Herzenswunsch seit Jahrzehnten, der noch vor Tourneebeginn in Erfüllung gehen könnte, wenn mein Bautrupp nicht wieder Scheiße gebaut hat und mich hängen läßt.
    Ich zieh mir die Decke hoch bis unters Kinn und schließe für ein paar Minuten die Augen. Als ich wieder aufwache, ist eine Stunde vergangen, und in meinem Kopf hämmert noch deutlicher als vorhin das Lied zum Tag.
    Kein zweiter Anruf. Kein Bautrupp.
    Kein. Guter. Morgen.

2
    Wie sagt man? Mit der Zeit gewöhnt sich der Mensch an alles.
    Sollte er aber nicht, find ich. Und deshalb kommt mir wahrscheinlich auch jeden Morgen die Galle hoch, wenn ich die Rollo raufgelassen hab und das getrübte Auge über dieses Bild des Schreckens und der Verwüstung schweift, das meine Bleibe nun schon seit bald eineinhalb Monaten bietet.
    Mein Zuhause in Wien-Fünfhaus, in langen Jahren von einer Übergangs- zur Dauerlösung gediehen, ist seit Mitte Jänner nicht mehr das, was es einmal war. Alles an Gerät und Mobiliar, das so zum Substandard von Zimmer-Küche-Klo-am-Gang gehört, lagert nun in den sechzehn Quadratmetern Wohn-, Schlaf- und Arbeitsfläche. Und wenn ich spätnachts heimkomme oder frühmorgens aufwache, was sich mitunter zeitlich auf dasselbe hinausläuft, sehe ich nix anderes als die unter Staub, Schutt und Plastikplanen begrabenen Ruinen meiner Küche. Ich sehe die weichen Konturen des Durchlauferhitzers, die ausladenden Rundungen der Abwasch, die der Sinnhaftigkeit ihres Daseins beraubten Seitenwände, Regalbretter und Türen der Küchenkastein, das in Kisten verpackte Geschirr und die in Kartons abgeschobenen Küchengeräte, die da sind: ein vollelektronischer Filterkaffeeapparat deutscher Fabrikation, sowie eine italienische und eine französische Mokkamaschine. Sie alle umlagern meine Bettbank, die man vor Ausbruch der Katastrophe mit viel Geduld und Gutzureden zu einem Doppelbett ausklappen konnte. Sie verstellen mir das kleine bißchen Raum, das zum Wohnen vorgesehen war, warten auf Arbeit, und ich kann ihnen seit Wochen kein anderes Wort des Trostes zurufen als: mañana .
    Natürlich leide ich darunter. Und natürlich hätte ich mir dieses Fiasko auch ersparen können. Aber manchmal im Leben will man es ganz genau wissen. Und kurz nach Weihnachten war es bei mir so weit. Nach Jahrzehnten des Duschens wollte ich endlich auch daheim und nicht nur auf Tournee den Komfort eines Wannenbades nicht länger missen und schlug deshalb sofort und ohne lang zu fackeln zu, als die Nachbarwohnung frei wurde, weil die jungen Kaltenbecks, die unter mir im zweiten Stock wohnen, für ihre Mutti bzw. Schwiegermama einen günstigen Platz in einem Pensionistenheim gefunden hatten.
    Die Idee war bestechend: Ich würde mein Zimmer-Küche-Domizil mit dem der alten Kaltenbeck Zusammenlegen und wäre ohne viel Aufwand bald stolzer Mieter einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit Innenklo und Luxusbad, das Ganze noch dazu in verkehrsberuhigter Lage und sonnenseitig.
    Theoretisch ein Traum. In der Praxis jedoch ein Inferno aus Schutt und Zugluft, Platzangst und Kreuzweh, schlechter Terminplanung und unzureichendem Gerät, und vor allem: Lärm. Und das nicht nur in den Stunden des Stemmens, Bohrens und Sägens. Das war ja miteinkalkuliert. Aber seit der Durchbruch von meiner Küche in die Kaltenbeck-Küche geschafft ist, dort Tür- und Fensterrahmen entfernt wurden und jetzt ein Provisorium aus alten Autodecken Tür und Fenster ersetzt, zieht es auf meiner Baustelle nicht nur wie in einem Vogelhaus, nein, es tönt auch so. Ich liege Nacht für Nacht auf meiner Bettbank, auf der verzweifelten Suche nach ein paar Stunden Schlaf und höre alles, was ein Miethaus auf dem Gang, dem Gangklo und im Stiegenhaus an Gepolter, Geschnatter, Gequietsche und Getöse zu bieten hat.
    Auch diese Nacht war wieder volles Programm. In den Hauptrollen, wie so oft, die jungen Kaltenbecks.
    Denn jetzt, wo die Alte aus dem Weg ist, kann der Walter, also der junge Kaltenbeck, endlich bis in den Morgen seiner wahren Bestimmung, dem Kartenspielen, nachgehen. Und seine Frau, die Gitti, eine ebenso reizende wie füllige Schöne, die aber seit gut einem halben Jahr aussieht wie Kim Basinger wenige Tage vor dem Antritt eines längeren Kuraufenthalts in der Betty-Ford-Klinik, kann unbesorgt im Café Jacky in der Herklotzgasse den Buggy mit dem jüngsten Kaltenbeck neben der Bar abstellen, um im Hinterzimmer die Gäste auf die Schnelle mit französischen Spezialitäten zu
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