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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst
Autoren: Guenter Broedl
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Faschierte kommt und mit ihm das zweite kleine Bier, danke ich dem Quell-Poldl mit einem stummen Kopfnicken für sein gastronomisches Feingefühl, das diese perfekte Synchronität von fester und flüssiger Nahrungsaufnahme möglich macht.
    „Mahlzeit“, sagt er, und dann fällt er eine Spur leiser, so daß es Ronnie und Axel nicht hören können, sein Urteil: „Schaust ned wirklich gut aus heute. Schau auf dich, Kurtl.“
    „Die Baustelle“, sage ich, „sowas zehrt.“
    Der Quell-Poldl blickt mich über den Rand seiner randlosen Brille wissend an, will etwas sagen, läßt es dann aber und geht mit einem besorgten Kopfschütteln an den nächsten Tisch, wo ein Pensionistenpaar noch zwei weiße Achteln und dann gleich zu bezahlen wünscht. Das Geld für die zwei Gläser Wein liegt, auf den Schilling genau abgezählt, auf einem Bierdeckel bereit. Es sind alte Stammgäste, die sich nur vom Herrn Quell , also vom Wirt persönlich, bedienen lassen, weil man dem jungen Personal nicht trauen kann, das stellt einem vielleicht einen Wein auf den Tisch, der einem den Magen ausrenkt und Sodbrennen macht, man kann nie wissen. Das erklären sie dem Quell -Poldl nun schon zum dritten Mal, seit wir an meinem Stammplatz gleich neben dem Kachelofen Platz gefunden haben. Und sie werden es bei jedem weiteren weißen Achtel wieder tun, jedes Mal ein bißl lauter und umständlicher, und wenn sie beim letzten Achtel des Tages angelangt sind, wird das der Quell -Poldl daran erkennen, daß nicht nur der genau abgezählte Betrag auf dem Bierdeckel liegt, sondern daneben auf dem rotkarierten Tischtuch ein Fünfer Trinkgeld.
    Ein guter Wirt muß vor allem ein guter Menschenkenner sein. Und ein großer Menschenfreund. Der Quell-Poldl läßt den raunzigen Sermon der beiden Alten mit der inneren Gelassenheit eines buddhistischen Bettelmönchs über sich ergehen, lächelt sogar noch verständnisvoll, und als er schließlich auf dem Weg zur Schank wieder an unserem Tisch vorbeikommt, ist sein rechter Zeigefinger mahnend erhoben und deutet in meine Richtung.
    Der Quell-Poldl hat offenbar erkannt, daß es wieder einmal passiert ist und ich soeben dabei bin, einen folgenschweren Fehler zu begehen. Egal wo auch immer du da hineingeraten bist, laß die Finger davon, warnt mich der erhobene Zeigefinger meines Stammwirten. Geh keinen Schritt weiter. Das ist nicht dein Revier, das ist gefährliches Terrain, dünnes Eis. Denk an das Badezimmer, den grindigen Linoleumboden und die gesprungenen Kaltenbeck-Kacheln; denk an die anstehende Probenwoche und den Konzertablauf von mindestens viereinhalb Stunden, den der Trainer zur gefälligen Kenntnisnahme aus seinem Refugium auf Teneriffa geschickt hat; und denk daran, daß du dir vorgenommen hast, die letzten drei Wochen vor Tourneebeginn jede freie Minute an deiner Textsicherheit zu arbeiten.
    Denk dran. Und vergiß, was du im Keller in der Auhofstraße gesehen hast.
    Der Quell-Poldl weiß, daß ich sozusagen am Rande des Abgrunds stehe. Ein kleiner unbedachter Schritt, und die Talfahrt beginnt. Aber der Quell-Poldl weiß nicht, was ich seit ein paar Minuten weiß.
    Mein Bautrupp hat bei seinem ersten, im Sturztrunk konsumierten Krügel gewissermaßen ein volles Geständnis abgelegt. Und mich danach um ein mildes Urteil gebeten.
    Und genau in diesem Augenblick kam das Faschierte mit dem zweiten kleinen Bier.
    Jetzt sitzen mir Ronnie und Axel, eingehüllt in betretenes und schuldbewußtes Schweigen, gegenüber, laben sich an ihrem dritten Krügel und verfolgen aufmerksam, wie ich das faschierte Laberl mundgerecht portioniere, das erste Stückchen mit der Gabel aufspieße, in den Grillsenf tauche und mir dann zusammen mit einer halben Bratkartoffel in den Mund schiebe.
    „Schmeckt’s?“ erkundigt sich Axel beinah im Flüsterton.
    „Großartig“, sage ich, obwohl man mit vollem Mund nicht sprechen soll. Aber ich hab momentan ohnehin nicht vor, mehr zu sagen. Die Burschen sollen ruhig warten und dunsten. Ich werde beim Essen über alles nachdenken.
    Und dann werden wir weiterschauen.

5
    Also eines weiß ich jetzt schon: Das Ganze ist kein Problem, das man en passant während des Mittagessens aus der Welt räumt. Denn da gibt es nicht nur ein Problem, sondern vielmehr ein engmaschiges Netz von Problemen, das geknüpft ist aus juveniler Dummdreistigkeit, blöden Zufällen und einem ebenso grausamen wie mysteriösen Verbrechen.
    „Eingemauert“, sage ich mir vor, und allein schon der Klang des Wortes macht
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