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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst
Autoren: Guenter Broedl
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zuzüglich zu einer Baustelle auch noch eine Leiche passiert, dann sollten alle meine Ampeln nur noch auf Rot stehen.
    Aber.
    „Also das ist der Keller, den wir ausräumen sollten“, sagt Axel, während er die weiße Eisentür zur Gänze öffnet, „und eigentlich war da auch nix Besonderes . . .“
    „Aber?“ sage ich und blicke in einen kahlen Raum. Vielleicht liegt es an den gekalkten Wänden und den drei mit Schutzgittern versehenen Neonröhren an der Decke, aber der Raum hat für mich den unwiderstehlichen Charme einer etwas zu klein geratenen Turnhalle. Und es riecht auch so. Nach kaltem Schweiß und alten Socken. Rechts neben der Tür haben Ronnie und Axel die Dinge aufgetürmt, die sie wegschaffen und entsorgen sollten. Verpackungskartons von Panasonic und Sony, Whirlpool und Siemens , die Rohre einer ausgemusterten Etagenheizung, eine Stehlampe, die ich eventuell in das Mobiliar meiner zukünftigen Zwei-Zimmer-Wohnung übernehmen würde, sowie Elemente einer Küche amerikanischer Bauart, wie sie seit gut dreißig Jahren nicht mehr in Mode ist, für die Liebhaber aber jeden Preis bezahlen würden.
    „Die wunderbaren pastellfarbigen Küchenkastein da“, wende ich mich an Ronnie, „kann man die eventuell umleiten?“
    Er mustert zuerst den Sperrmüll und dann mich, als hätte ich ihm einen unsittlichen Antrag gemacht.
    „Umleiten? Wie meinst das?“
    „Umleiten“, sage ich, „statt auf die Deponie zu mir in die Reindorfgasse.“
    „Das da?!“ Ronnie wirft Axel einen Blick zu, der zum Thema „Kurt Ostbahn und die Grenzen des Schwachsinns“ mehr sagt als tausend Worte. Aber Axel sieht das entweder nicht ganz so wie sein Kollege, oder aber er ist mit dem Kopf ganz woanders, jedenfalls fallt seine Antwort ziemlich indifferent aus.
    „Wir haben zuerst glaubt, sowas gibt’s nicht“, sagt er.
    „Nicht mehr“, korrigiere ich ihn und kann den Blick nicht mehr von den sorg- und herzlos in die Turnsaalecke gestapelten Resopalkasteln wenden, die trotz der dicken Schicht Lurch und Staub ihr einzigartiges Farbenspiel nicht verloren haben: Vanille und Zimt, Babyaugenblau und Zuckerlrosa.
    „Umleiten. Logisch“, sagt Ronnie, wohl um mich bei Laune zu halten. Dann geht er die nackte Wand entlang bis zu einem Holzgerüst, das aussieht wie die Überreste einer schwarz lackierten Kletterwand. Davor auf dem Boden liegt ein halbes Dutzend Rundhölzer in einem Haufen Schutt, Ziegel und Verputz.
    Ich trabe hinter ihm her, den blassen Axel im Rücken.
    „Ehrlich. Wir haben nix angrührt“, raunt mir Axel zu, als wäre ich einer der drei Fernsehdetektive, denen er stets und blind vertraut.
    Da gibt es auch nicht viel, das ich anrühren könnte: Ich sehe ein Loch in der Wand, etwa in Augenhöhe, wo die Burschen offensichtlich bei ihrem Versuch gescheitert sind, die Verankerung des schwarzen Klettergerüsts aus der Mauer zu reißen, ohne der Bausubstanz schlimmeren Schaden zuzufügen. Und dieses Loch gibt den Blick frei auf eine Welt, die sich mir ohne Taschenlampe nicht erschließen will.
    Aber da drückt mir Axel auch schon eine Stablampe in die Hand, und jetzt sehe ich klar und deutlich, daß es tatsächlich eine Welt jenseits der unterirdischen Turnhalle gibt. Diese Welt hat in etwa die Größe einer Liftkabine, im Unterschied zu dieser jedoch keinerlei Ausstieg, und der einzige Fahrgast, den ich ausmachen kann, ist seit mindestens vielen Monaten tot.
    Erstickt. Verhungert. Verdurstet.
    Was weiß man. Ich weiß es nicht. Und will es auch nicht so genau wissen.
    Jedenfalls sind im Schein von Axels Taschenlampe, verstrickt in einem Gewirr aus schwarzem Tuch, die traurigen Überreste menschlichen Lebens zu erkennen. Was mich bis ans Ende meiner Tage tief hinein in meine Träume verfolgen wird, ist der Gesichtsausdruck der Leiche. Wobei man von einem Gesichtsausdruck im herkömmlichen Sinn nur begrenzt sprechen kann. Denn die Leiche im Liftschacht hat kein Gesicht. Sie hat Augenhöhlen und ein Nasenbein und Zähne und einen Mund, der offensteht in einem letzten verzweifelten und panischen Schrei. Und über diese Fratze der Angst spannt sich, dünn wie Flugpostpapier oder die Strumpfmaske eines Bankräubers, ein Hauch von pergamentener Haut.
    „Mumifiziert“, sage ich zu den Burschen, drücke Axel die Stablampe in die Hand und vertage das dringend notwendige Gespräch unter sechs Augen nach Wien-Fünfhaus.
    „ Rallye oder Quell ?“ erkundigt sich Ronnie.
    „Bin dankbar für die Frage“, sage ich.

4
    Als das
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