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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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weit, daß er die Rippen unterscheiden konnte – nun durfte er freilich nicht mehr in die Sonne blicken, nicht einmal mehr auf den gesamten Schirm des Kollektors.
    Er nahm die erste Rolle, hielt den Rand der Folie fest und gab ihr einen gelinden Schubs. Die Folie entrollte sich und wurde zugleich an die schon vorhandene Bespannung gedrückt, mehr war nicht nötig, der Lichtdruck würde sie anpressen und glätten. Aber schon nach zwei Metern sah Ruben nicht mehr, ob die Folie sich richtig entfaltete, zu hell und gleichförmig war das Bild. Er wechselte auf die andere Seite hinüber, regulierte den Blendschutz und sah, daß er gut getroffen hatte.
    Wieder hinüber, herüber und noch einmal, und noch einmal… Je länger Ruben im dichten Licht auf der Sonnenseite des Kollektors arbeitete, um so weniger sah er. Vielleicht sollte er eine Pause machen und das Visier ganz abdunkeln, damit die Augen sich erholen konnten? Aber nun merkte er, daß ihm sehr heiß war. Und die Kühlung des Anzugs ließ sich nicht mehr stärker stellen. Nun ja, die Lichtdichte. Wie viele Rollen hatte er noch? Drei. Die würde er doch wohl schaffen.
    Zwei verlegte er schnell. Die dritte aber, mit der er ja auch das Schlupfloch abdecken mußte, verhielt sich widerspenstig. Zuerst gelang es ihm nicht, den Rand der Folie mit seinen dick behandschuhten Fingern zu fassen, er haftete wie angeklebt an der Rolle. Als er endlich einen Zipfel gefaßt hatte, löste sich plötzlich der ganze Rand, und die Rolle entfaltete sich, der aufgewandten Kraft folgend, in den Raum statt auf den Kollektor. Und da beging Ruben einen Fehler: Er blickte der Rolle hinterher. Dann sah er nichts mehr. Feuer wogte vor seinen Augen, deren Lider sich krampfhaft geschlossen hatten. Die Kopfbewegung war zu schnell gewesen, die Automatik hatte den Blendschutz um den Bruchteil einer Sekunde zu langsam heraufgeschaltet.
    Wie lange würde es dauern, bis er wieder sehen konnte? Es wurde auch immer wärmer im Schutzanzug… Jetzt die Sinne zusammennehmen. Er mußte hinüber auf die andere Seite. Blind. Wo war die Richtung? Er tastete. Hier. Er kroch am Mittelstück des Kollektors entlang. Jetzt mußte er hindurch sein. Wenig später spürte er, daß es kühler wurde. Eine Weile danach verloschen die wogenden Feuer vor seinen Augen. Jetzt war alles schwarz. Es dauerte wiederum einige Zeit, bis er begriff, daß er jetzt von Hand den Blendschutz herunterregeln mußte, denn die Automatik glich nur einen kleinen Betrag aus.
    Nun sah er wieder. Er holte eine Rolle aus dem Feuerstuhl, und der Rest der Arbeit verlief ohne Schwierigkeiten. Ruben dachte daran, daß er wohl diese Arbeit sträflich unterschätzt hatte und daß er sich hüten mußte, künftig an andere Aufgaben so routinehaft heranzugehen.

    Starker Beifall belohnte Wenzel Kramers Zauberschau. Wenzel trat vor den Vorhang, verbeugte sich, verbeugte sich noch mal, horchte dabei in den Saal, freute sich, daß seine Kunstkollegen die versteckten Schwierigkeiten seiner Tricks erkannt hatten und honorierten, und war sich nun, bei seiner letzten Verbeugung, schon ganz sicher, daß sie ihn zum Europatreffen delegieren würden. Es wäre die höchste Graduierung seines Lebens, des bisherigen wie wohl auch des künftigen, denn weiter würde er nicht mehr kommen, er war schon fünfzig und würde in einigen Jahren beginnen, sich auf den Lehrberuf vorzubereiten. Die Delegierung nach Moskau wäre doch der Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn… Er trat hinter den Vorhang zurück, bevor der Beifall spürbar abebbte.
    Ja, es gehörte für ihn zu den schönsten Erlebnissen, einmal im Jahr vor Kollegen zu spielen, beim Gebiets- oder wie hier beim Regionstreffen; wer wußte so gut die Feinheiten zu würdigen wie gerade diejenigen, die selbst diese Kunst ausübten. Er wußte aber auch: Andern ging es anders. Manche hatten am Publikum um so mehr Freude, je weniger es fachlich vorbelastet war. Und merkwürdigerweise galt das auch umgekehrt: An solchen hatte meist das Publikum mehr Freude. Aber eigentlich war das gar nicht merkwürdig… „Wie bitte?“
    Der Inspizient hatte ihn angehalten, als er die Bühne verließ, und etwas gesagt.
    „Es war ein Ruf für Sie“, wiederholte der Mann, „von der Region. Im Sekretariat der Halle können Sie zurückrufen.“
    Wenzel Kramer bedankte sich; er tat das nicht allzu erfreut, denn Angenehmes würde da kaum auf ihn warten.
    Was er dann aber erfuhr, war noch schlimmer, als er befürchtet hatte, obgleich
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