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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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gemeinsam haben: Sie schwingen sich auf von den nationalen und lokalen Kulturen, verleugnen sie nicht, sondern synthetisieren sie zu etwas Neuem, Menschheitlich-Ganzem – das ist das eine. Und das andere: Sie drängen. Stürmisches Drängen ist sozusagen ihr emotionaler Grundton. Man könnte sagen: Sie negieren schon die Stabilität. Sie führen mit den spezifischen Mitteln der Kunst einen Erkenntnisprozeß, der aus der Gegenwart in die Zukunft gerichtet ist. Sie kündigen – gerade weil sie sich um diese menschheitlich-ganze Sicht bemühen – einen Umbruch an. Und das auf eine für mich überzeugende Weise. Von dieser Seite her glaube ich nicht an die fünfzig Jahre, die die Ökonomen anführen. Ihr Brief kam genau zur richtigen Zeit. Und ich bin überzeugt, wenn Sie ihn nicht geschrieben hätten, dann hätte ihn jemand anders ein halbes Jahr später geschrieben, wenn auch vielleicht aus einem andern konkreten Grund oder mit einem anderen Gegenstand.“ Sie lächelte plötzlich. „Das enthebt uns freilich nicht der schweren Pflicht, genau zu prüfen, ob dieser Gegenstand nun auch das Richtige ist.“
    „Ich muß die Schwierigkeit dieser Prüfung noch vergrößern“, sagte Wenzel. „Seit dem Schreiben des Briefes ist Zeit vergangen, und wir haben weitere Erfahrungen gemacht. Sie sind durchaus geeignet, die gesamte Problematik noch verschwommener erscheinen zu lassen.“
    „Wunder darf man nicht erwarten“, sagte Fjodor Petrow, „und ein Wunder wäre es, wenn sich alles schnell und glatt klären würde.“ Er sah seine Kollegin fragend an, die nickte leicht. „Wir hatten ursprünglich vor, Ihnen mit Fragen aller Art zuzusetzen, die konkreten Dinge Ihres Briefes betreffend. Aber eigentlich könnten wir ja nur Ihre Überzeugtheit prüfen und nicht die Sache selbst. Sagen Sie also…“
    „Warte, eine Frage möchte ich noch stellen“, unterbrach ihn Soni Tabele. „Wenn sich zum Beispiel für die Venus zehntausend Leute melden, jetzt in den nächsten Monaten – wie wollen Sie entscheiden, wer mitfliegen darf und wer nicht?“
    Wenzel war etwas verblüfft, nach einem solchen Detail gefragt zu werden, merkte aber sofort, daß viel mehr dahinter steckte: Eigentlich traten sie in dem Augenblick, in dem die Konrats ihrem Antrag stattgeben würden, bereits aus der Stabilität hinaus. Und während er noch grübelte, antwortete statt seiner Pauline: „Das wissen wir noch nicht. Aber auf keinen Fall so wie in früheren Etappen, also mit Prüfungsmaschinen und Tauglichkeitsattesten.“
    „Danke, das genügt mir“, antwortete Soni Tabele und nickte Fjodor Petrow zu. Der nahm wieder das Wort. „Sagen Sie mir also: Sind Sie so sehr von der Stimmigkeit Ihrer anderen Vermutungen überzeugt – nein, warten Sie, nicht überzeugt, sondern… im Innern durchdrungen, daß Sie bereit sind, Ihr eigenes Leben, Ihre ganzen fünf Jahrzehnte und“ – er verbeugte sich zu Pauline hin – „Ihre gesamten acht Jahrzehnte in den Dienst dieser Sache zu stellen, auch auf die Gefahr hin, daß Sie nicht normal wie ein Mensch dieses Zeitalters leben können, daß Sie vielleicht Kunst und Handwerk an den Rand Ihres Daseins drängen müssen, und all das, obwohl sich Ihre Vermutungen am Schluß doch als Irrtum herausstellen könnten?“
    „Ja, das sind wir“, antwortete Wenzel, und Pauline nickte dazu.
    „Es scheint wohl doch so zu sein“, sagte Soni Tabele, und man spürte, dieser Gedanke war nicht im Augenblick geboren, sondern lange überlegt und hin und her gewendet worden. „Das Netz der Neuronen in unserm Gehirn hat sich immer enger verknüpft und dadurch eine immer größere Reichweite bekommen, und nun ist eine neue Qualität entstanden – es reicht so weit, daß sich Planeten darin fangen lassen. Übernehmen Sie bitte Gründung, Aufbau und Weiterentwicklung einer Perspektivkommission des Rates!“

    Ein halbes Jahr später hatte die Erweiterung der Marsstation begonnen, und die der Venussiedlungen war für einen späteren Zeitpunkt bereits festgelegt. Und außerdem war die zweite Expedition zum Minos startbereit.
    Das Ereignis hatte Ruben als Leiter und Pauline, die zur Besatzung gehörte, noch einmal mit Wenzel und Sibylle zusammengeführt. Sie saßen in einem kleinen Klubraum in Gagarin, ein paar Stunden vor dem Start. Alles Wichtige war gesagt.
    „Graust dir nicht vor der Weite da draußen?“ fragte Wenzel Pauline, halb im Scherz, aber die nahm die Frage ernst.
    „Ja, nicht wahr, seltsam“, sagte sie, „nie aus
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