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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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überhaupt dazugehörte. Auch die an andere Arbeitsgruppen abgegebenen Themen erbrachten immer mal wieder neue Informationen. Und dann fehlte ihm auch Pauline, die erst wenige Tage vor diesem Fest aus dem Raum zurückkehrte. Neue Mitarbeiter wollte und konnte er sich aber nicht suchen, bevor der Konrat sich nicht geäußert hatte.
    Als Wenzel dann dem Drängen der Nachbarn nachgegeben und angefangen hatte, sich auf diesen Auftritt vorzubereiten, merkte er während des Trainings, wie sehr ihm seine Kunst gefehlt hatte. Er hatte sich für glücklich gehalten und war es gewiß auch, schon durch die Gemeinsamkeit mit Sibylle; die dienstlichen Schwierigkeiten schränkten das nicht ein, man kann auch unzufrieden und glücklich zugleich sein. Aber ein halbes Jahr ohne Kunstausübung, das war für einen Menschen seiner Zeit ein fast unerträgliches Opfer. Und wie würde das mit dem Menschen der Zukunft sein? Dieser Zukunft, die er gerade projektierte? Würde der Planetensiedler überhaupt Zeit und Kraft für Kunst haben? Und für welche? Auf solche und andere Fragen stieß er fast täglich, und je länger er auf die Antwort des Konrats wartete, um so größer wurde der Stapel unbeantworteter Fragen; ja, jedes einigermaßen konkrete Weiterdenken zerfaserte sofort in Bündel von Problemen, für deren Lösung es nicht einmal eine verschwommene Vorstellung gab. Manchmal fragte er sich besorgt, ob er nicht doch zu früh geschrieben hatte. Aber wieviel zu früh? Ein Jahr? Ein Jahrhundert? Und die Gefahren, die schon jetzt drohten?
    Jetzt dachte und spürte er nichts von alldem. Er fühlte sich befreit, er ging völlig auf in seinen Zaubereien, denn er spürte, daß er die Zuschauer auch im übertragenen Sinn des Wortes bezauberte. Es war gewiß kein sehr sachkundiges Publikum, aber er fühlte sich mit ihm enger verbunden, als das sonst der Fall war, wohl durch die Nachbarschaft, und er fühlte auch, daß dieser Umstand seinen Darbietungen mehr Schwung und Eleganz gab.
    Beifall begleitete die nunmehr wieder zusammengefügte Pauline in den Saal zurück, und Wenzels Blick folgte ihr und fiel noch einmal auf die beiden Zuspätgekommenen. Woher er die nur kannte? Er schob diesen Gedanken schnell wieder beiseite, er war in den letzten Wochen mit so vielen Leuten bekannt gemacht worden, daß er sich unmöglich alle hatte merken können. Er nahm sich aber vor, sie nachher zu fragen.
    Es ging jetzt auf die Schlußnummer zu, und die erforderte seine ganze Geschicklichkeit. Er fragte in den Saal, ob jemand einen Brief in der Tasche habe oder sonst ein Stück Papier, keine Angst, er würde ihn nicht vorlesen, nicht einmal lesen würde er ihn, aha, da meldete sich jemand, er lief ein paar Schritte, nahm einen Briefbogen entgegen, ging auf die Bühne zurück und rollte dabei den Brief zu einer Tüte zusammen. Und als er die Hand mit der Tüte nach vorn in den Saal streckte, erhob sich daraus eine Wolke kleiner Blüten, die sich nach oben bewegte, ausbreitete und dann sanft zu sinken begann. Hätte er sich jetzt verbeugt, hätte der Saal ihm großen Beifall gespendet, aber er tat das nicht, er nahm die Tüte vor die Brust, sah hinein, und nun merkten auch die Zuschauer, daß da wohl noch etwas kommen würde. An diesem Punkt brauchte Wenzel all sein Einfühlungsvermögen. Er mußte so lange warten, bis so viele Zuschauer wie möglich das begriffen hatten, und durfte doch nicht eine Zehntelsekunde zu lange zögern, wenn der Trick nicht scheitern sollte – jetzt! Er streckte erneut die Hand mit der Tüte vor, und die Blütenwolke zog sich zusammen, kehrte in die Tüte zurück, Wenzel rollte die auseinander – nichts! – und verbeugte sich. Unter donnerndem Beifall gab er den Brief zurück, ging auf die Bühne, der Beifall hielt immer noch an, er verbeugte sich noch mal und trat dann ab.
    Er saß in seiner Garderobe und schminkte sich ab, als es klopfte. Auf sein Herein traten die beiden Spätkömmlinge ein, er sah sie im Spiegel, der Mann, ein Weißer, sagte auf russisch: „Ein gelungener Vortrag, meinen Glückwunsch!“ Und da erkannte Wenzel ihn oder eigentlich beide, der Mann war Fjodor Petrow, der europäische Konrat, und die Frau, eine Schwarze, war Soni Tabele, eine afrikanische Kollegin.
    Eine halbe Stunde später saßen sie zusammen in Wenzels Arbeitszimmer, er hatte Pauline vorgestellt und sie dazugebeten. Sie waren also zu viert, und sie sprachen Englisch, weil das alle beherrschten.
    „Ihr Brief an mich“, sagte der europäische
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