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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Konrat, „birgt so viele überraschende Wendungen wie Ihre Zauberschau. Ich sage dies nur, um den Umfang der Arbeit anzudeuten, die vor uns liegt. Alle Konrats haben ihn gelesen, wir beide sind delegiert und berechtigt, Entscheidungen zu treffen. Es trifft sich dabei gut, daß Frau Tabele und ich von unseren früheren Diensten her Sachgebiete vertreten, die in Ihrem Brief zu kurz kommen, nämlich Kulturwissenschaft“ – er wies auf seine zartgliedrige schwarze Begleiterin – „und Ökonomie, was mich betrifft. Sie werden es sicherlich auch für zweckmäßig halten, wenn wir Ihre zweite Vermutung zuerst behandeln und die andere danach?“
    Wenzel nickte. Er sah in diesem Angebot mehr als eine Verfahrensregelung – nämlich die Bestätigung dafür, daß ein innerer Zusammenhang zwischen den drei Punkten bestand und die Konrats ihn akzeptierten. Überhaupt alles, auch das persönliche Erscheinen gleich zweier Konrats hier bei ihm und Pauline, schien ihm darauf hinzudeuten, daß man seinen Brief außerordentlich ernst nahm; wenn auch sicherlich mit abweichenden Meinungen in der einen oder anderen Einzelheit. Fähig und bereit zu Entscheidungen – so waren sie gekommen; aber gewiß auch, um zu prüfen.
    „Ich nehme mir gleich das Wort“, sagte Fjodor Petrow, „und grundsätzlich, in Übereinstimmung auch mit Frau Tabele und den andern Konrats, muß ich zustimmen: Ja, Ihre Vermutung trifft zu, die Stabile Gesellschaft hat ihren Höhepunkt überschritten. Wir Menschen sind ja, historisch gesehen, noch jung und haben wenig Erfahrung damit, wie die Etappen der klassenlosen Gesellschaft einander ablösen. Noch der Übergang von der Harmonisierung zur Stabilisierung war geprägt von der Überwindung der Vergangenheit, der letzten Übel der ehemaligen Klassengesellschaft also. Der nächste Übergang wird etwas ganz Neues für uns werden, daher die große Aufmerksamkeit, die wir Ihrem Brief schenken – wie allen ähnlichen Unternehmungen.
    Eins freilich wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern, ganz gewiß aber noch nicht bei diesem bevorstehenden Übergang: Auch er wird, wie alle Übergänge der Vergangenheit, letzten Endes von der Ökonomie bestimmt, also von der Art und Weise der materiellen Produktion und Reproduktion der Gesellschaft. Wie Sie wissen, ist die Voraussetzung für Stabilität, daß alle ökonomischen Kenngrößen, bei voller Variabilität im einzelnen, in ihrer Summe konstant bleiben. Da wir uns freier bewegen können als frühere Gesellschaftsformationen und -etappen, können wir das auch bestimmen. Alles können wir konstant halten – die Summe der Produkte und sonstigen Leistungen, die Reproduktionsprozesse innerhalb der Ökonomik, sogar die Bereitstellung an Arbeitsmöglichkeiten, nur eins nicht: die Produktivität der Arbeitskraft. Weil ihr Wachstum das Wachstum des Menschen selbst ist. Dies eigentlich von Anbeginn seiner Menschwerdung, aber erst recht auf einer gesellschaftlichen Stufe, wo die Arbeit zum wichtigsten Bedürfnis geworden ist.
    Dieses Bedürfnis wächst – jetzt noch vor allem qualitativ – mit dem Wachstum der Produktivität. Die Stabile Gesellschaft leitete bisher den Überschuß auf ideelle Produktion, vor allem auf Kunst und Kultur, die heute schon fünfzig Prozent der Arbeitskraft aufnehmen. Arbeit ist aber nur dann Arbeit, wenn sie gesellschaftlich notwendig ist.
    Sie haben selbst Beispiele dafür angeführt, daß es immer schwieriger wird, das Bedürfnis nach höherem Schöpfertum in der Arbeit zu befriedigen, und ich kann Ihnen aus dem Überblick, den ich als Konrat habe, bestätigen, daß das eine allgemeine Tendenz ist. Die Ökonomen rechnen damit, daß wir in einem halben Jahrhundert die Stabilität werden aufgeben müssen. Nur die Frage, was an deren Stelle zu setzen ist, kann die Ökonomie nicht oder noch nicht beantworten. Das sind eben die Probleme im Reich der Freiheit, um mit den Klassikern zu sprechen. Aber Soni Tabele hat auch einiges dazu zu sagen.“
    „Der große Aufschwung der Lebenskultur in den letzten hundert Jahren“, erklärte Soni Tabele, „hat zunächst zur Stabilisierung und zur weiteren Ausprägung der nationalen und lokalen Kulturen geführt, wie das ja auch erwartet wurde. Aber unterhalb dieser vorherrschenden Tendenz gibt es eine andere, die anfangs nur zaghaft auftrat, im Lauf der Zeit kräftiger wurde und jetzt schon sehr stark wirkt. Sie bestimmt die Richtungen und Schulen, die bei aller äußeren Unterschiedlichkeit zwei Dinge
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