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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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andere Geschwindigkeit einzustellen, murrte sie. Es
war wie fliegen, nur gefährlicher. Glück, reines Glück. Schneeflocken, weiße Straße.
Ein Räumfahrzeug blinkte ihnen empört hinterher. Kurz vor Rostock dachte sie
darüber nach, was eigentlich sein Alibi war, aber sie würde ihn nicht danach
fragen. Sie wollte nicht, dass das, was sie so glücklich machte, auf einer Lüge
gründete. Sie schlugen den Nävi um siebzehn Minuten, obwohl der vom Schnee
nichts gewusst hatte. Oder hatte er doch? Diese Geräte waren ihr unheimlich.
    Als sie
auf dem Zimmer waren, saßen sie ratlos da, er auf der Bettkante, sie auf einem
Stuhl, von dem aus sie die Ostsee sehen konnte, ihr Meer.
    «Hast du
Hunger?», fragte er.
    Sie nickte
rasch.
    Sie gingen
ins Restaurant, wo nur ein älteres Paar saß, in einem riesigen Saal, der
lindgrün tapeziert war, chinesisches Muster. Der Tisch war mit mehr Besteck
eingedeckt, als Esther an zwei Tagen gebraucht hätte, und der Kellner war zu
oft da, um sich zu erkundigen, ob alles recht war. Das war es aber nur, wenn
er nicht da war. Das heißt, so ganz recht war es dann auch nicht. Ihr Gespräch
kam nicht in Gang. Sie sagte nichts, Thilo sagte, dass es schwierig sei, mit
Arthouse-Filmen Geld zu verdienen. «Vielleicht ist das Wort nur eine
Entschuldigung für alles», sagte sie. Es stand im Raum, dass es falsch gewesen
sein könnte, gemeinsam herzukommen.
    Als das
Restaurant schloss, gingen sie in die Bar. Er rauchte eine Zigarre und stellte
ein paar Fragen zu ihrem Leben, aber sie speiste ihn mit kargen Antworten ab.
Es lag nahe, was sie ihm hätte sagen können. Dass sie schon einmal hier war,
nicht in diesem Raum, aber in Heiligendamm. Damals gab es eine Demonstration
gegen das Hotel, und sie war mit Jasper von Greifswald hergefahren.
    Es ging
darum, dass man für das Hotel ein paar Wege, die vorher öffentlich waren,
gesperrt hatte. Sie kamen über den Strandweg, vielleicht zweihundert Leute, mit
ein paar Plakaten, eine Frau mit Megaphon. Kurz vor dem Hotel hielt sie eine
Reihe von Polizisten auf, sie hatten Knüppel und Schilder. Hinter den
Polizisten strahlten die schönen, alten Häuser weiß in der Sonne. Menschen in
weißen Bademänteln gingen vom Hotel zum Strand oder vom Strand zum Hotel, ihre
Schritte knirschten auf den Kieswegen. Die Frau rief durch das Megaphon, dass
der Strand und die Wege öffentlich zugänglich bleiben müssten, sie drückte sich
etwas umständlich aus. Dann riefen sie: «Wir sind das Volk!» Jemand warf eine
Tomate über die Polizisten hinweg und traf einen Hotelgast an der Schulter.
Ein roter Fleck auf einem weißen Bademantel, alle lachten, aber dann gab es in
der Gruppe eine Diskussion über Gewalt, vielleicht weil der Fleck so nach Blut
aussah. Sie standen noch eine Weile da, und irgendwann löste sich die
Demonstration auf. Jasper und sie legten sich an den Strand, schwammen in der
Ostsee. Es war ein heißer Tag. Thilo erzählte sie nichts davon, kein Wort.
    Seine
Zigarette glühte im Aschenbecher, und er sagte, dass die Riefenstahl in einem
Haus am Starnberger See gewohnt habe und schlank gewesen sei wie eine Siebzehnjährige
trotz ihrer hundert Lebensjahre und immer rote Lippen gehabt habe, wenn er
gekommen sei, rote Lippen und enge Röcke, dazu hohe Schuhe. Toll habe sie
ausgesehen. Esther war nach Heulen zumute. Aber aus der Nähe habe sie seltsam
ausgesehen, sagte Thilo, Hunderte von Falten im Gesicht, und diese Falten mit
den knallroten Lippen, das habe einfach nicht zusammengepasst.
    «Soll ich
dich nach Hause bringen?», fragte er. Sie schüttelte den Kopf.
    Als die
Bar schloss, gingen sie auf ihr Zimmer, und Esther verschwand sofort im Bad.
Sie ließ das Wasser laufen, ohne es zu benutzen. Nach zehn Minuten zog sie
sich aus und verließ das Bad in einem weißen Bademantel vom Hotel. Eine
goldene Krone war auf die Brusttasche gestickt. Er war im Bett, seine Sachen
hingen über dem Stuhl. Sie machte das Licht aus und stieg ins Bett, den
Bademantel ließ sie an. Sie lag steif da, ihr Gesicht zur Decke gewandt. Nach
einer Weile spürte sie, wie seine Finger über ihren Oberarm streiften.
    Als sie am
nächsten Morgen aufwachte, fragte sie sich, was passiert war in der Nacht, aber
sie hatte keine Erinnerung. War nichts passiert, oder hatte sie es verdrängt?
Ehe sie darüber nachdenken konnte, schmiegte er sich an sie, und sie merkte
erst wieder, dass es noch eine Welt gab, die nicht Thilo und sie war, als der
Room Service klopfte. Er klopfte fünfmal
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