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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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ein angedeutetes Kapitell. Prächtig war das nur auf den
ersten Blick. Als sie näher hinsah, entdeckte sie Risse und Löcher.
Mauersteine traten unter dem Rauputz hervor. Innen waren die Wände bis Schulterhöhe
mit dunklem Holz verkleidet, aber das Holz war matt, verkratzt, fast
unansehnlich. Das Haus roch wie die Häuser ihrer Kindheit, nach angestrengter
Sauberkeit, ein bisschen giftig nach heutigen Maßstäben. Sacrow war früher DDR
gewesen. Sie dachte daran, dass Thilo mit einem seiner ersten Filme einen
Erfolg gehabt hatte, sogar international, aber dann war ihm nichts mehr gelungen.
Dem entsprach dieses Haus. Es sah aus, als hätten seine Bewohner auf eine
Zukunft gesetzt, auf die sie noch immer warteten.
    Sie ließ
sich durch das Fest treiben, ohne sich auf längere Gespräche einzulassen.
Später, als die Drogen umgingen, tanzte sie, um in Ruhe gelassen zu werden.
Thilo stellte sich einmal zu ihr und erzählte ihr von einem neuen Projekt. Das
«Tagebuch eines Landpfarrers» interessiere ihn, ein Roman von Georges
Bernanos, kraftvoller Stoff, meisterhaft, kirchenkritisch auch. «Wir dürfen
der Katholischen Kirche das nicht alles durchgehen lassen», sagte er. Es gebe
schon eine Verfilmung von Bresson, ein Meilenstein der Filmgeschichte, genau
das reize ihn, da etwas dagegenzusetzen. «Wir müssen es mit den Klassikern
aufnehmen», sagte er. Sie berührte seine Hand, er zog sie zurück, ein Reflex
eher, dachte sie und war trotzdem verstimmt. Jemand sprach ihn an, sie zog
weiter, dann sah sie auf dem Tisch, auf dem das Essen stand, ein Handy liegen.
Das Display zeigte einen Pornofilm. Sie blickte sich nach einem Besitzer um,
sah aber niemanden, der auf das Handy achtete. Es klingelte, so wie früher
Bakelittelefone geklingelt hatten, und ein Mann mittleren Alters eilte herbei.
Esther sah, wie sein Ohr von dem Pornofilm erleuchtet wurde. Sie ging wieder
tanzen. Eine Frau stürzte, eine Diele war unter ihren Füßen gebrochen.
    Am
nächsten Morgen wachte Esther auf, weil zwei Kinder neben ihr standen und
miteinander redeten. Sie lag auf dem Sofa unten im Salon und rätselte, warum
sie nicht nach Hause gefahren war. Die Kinder fragten sie, wie sie heiße, und
sie sagte ihren Namen.
    «Und wie
heißt ihr?»
    «Paulus.»
    «Ich
Henriette.»
    Sie wusste
das längst, sie wusste auch, dass sie vier und sechs Jahre alt waren, und
fragte trotzdem danach. Thilo brachte ihr einen Espresso ans Sofa und strich
seinen Kindern über den Kopf. Sie wollten, dass sie ihnen etwas vorlas, und
das tat sie auch, in die Decke gewickelt. Sie fragte sich, wie sie jetzt
aufstehen solle, sie hatte nur ein Höschen an und ein T-Shirt, das ihr nicht
gehörte. Greta kam, begrüßte sie freundlich und räumte Flaschen weg, während
Esther den beiden Kindern vorlas.
    Greta war
Ende dreißig, nicht ganz so schlank wie Esther, aber größer, dunkelblond, und
sie hatte ein Porzellangesicht mit verträumten Augen. Das Kinn war ein
bisschen zu spitz. Als Esther gestern Abend, als es schon spät war, eine halbe
Stunde mit Greta geredet hatte, war ihr nichts aufgefallen, was an dieser Frau
besonders war, nichts, was sie zur Frau eines Mannes wie Thilo machte. Aus
ihren Worten sprach nicht viel mehr als Müdigkeit. Am Ende war es die
Schönheit, die Frauen wie Greta in solche Kreise schob. Sie erschrak bei diesem
Gedanken. Konnte man das Gleiche von ihr sagen? Was war an Esther Dieffenbach
besonders?
    «Warum
liest du nicht weiter?»
    Henriette
hatte das gefragt, und Esther war erleichtert, dass sie sich auf den Text
konzentrieren musste.
     
    Sie wurde
danach häufiger in das Haus von Thilo und Greta eingeladen, zunächst nur mit
anderen Gästen, dann auch alleine. Sie verstand sich gut mit Greta. Als sie
einmal nebeneinander in der Küche standen und Gemüse für ein Wokgericht
schnibbelten, kamen ihr Gretas Worte und Gesten so selbstverständlich und
gelassen vor, als sei sie es gewohnt, mit jungen, hübschen Frauen, die ihr Mann
angeschleppt hatte, Essen zuzubereiten. Kein schöner Gedanke. Aber Esther
konnte so etwas verdrängen. Wenn sie Glück hatte, tauchte der Gedanke nie mehr
auf. Sie war bis jetzt ganz gut damit gefahren.
    Thilo
besuchte sie ein-, zweimal in der Woche in ihrer Wohnung, das war inzwischen
erlaubt. Meistens machte er um zwei Uhr morgens erste Anstalten zu gehen, sie
hielt ihn zurück, mit Locken, Maulen, Flehen. Manchmal konnte sie ihn so bis
zum Morgengrauen halten, aber wenn er gegangen war, schämte sie sich ein
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