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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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machte noch einen Schritt vor, tätschelte
seinen Hals. Es war schön, dieses weiche, warme Fell zu berühren. «Sind Sie
okay?», flüsterte der Gebirgsjäger hinter ihr.
    «Alles
okay, nur ein Esel.»
    Sie legte
ihren Arm um den Esel und atmete seinen Geruch ein. Dann ließ sie ihn los und
ging zurück auf ihren Posten, der Gebirgsjäger stellte sich wieder am Dingo
auf. Sie schaute hoch zum Dorf. Das Haus am hinteren Ende, das ein bisschen
abseits stand, das war das Haus, in dem Mehsud wohnte, vielleicht tausend
Schritte entfernt von ihr, ein Stück die Straße entlang, den Pfad durch den
Obsthain hoch, dann durchs Dorf.
    Esther
weckte Ina und sagte ihr, dass sie zwei Stunden lang weg sein würde. Ina war zu
verschlafen, um sie zurückhalten zu können.
    Esther
entfernte sich ein Stück von den Fahrzeugen, auf Inas Seite, sodass der
Gebirgsjäger sie nicht sehen konnte. Nach fünfzig Schritten sprang sie auf die
Mauer und verschwand zwischen den Obstbäumen. Der Boden war feucht, aber nicht
rutschig, sie fand leicht Tritt. Es ging nicht allzu steil hinauf, und sie
hatte nur das Gewehr dabei, kein Problem. Es ging ihr gut, sie tat das, was
sie tun wollte. Nach wenigen Minuten war sie oben an der Dorfstraße, ein Hund
schlug an. Sie entsicherte das Gewehr und lief auf Mehsuds Haus zu. Es stand
frei, ohne Mauer. Sie klopfte an der Tür. Es dauerte nicht lange, und drinnen
ging Licht an. Die Tür wurde geöffnet, er stand vor ihr, aber sie sah nicht
ihn, ihr Blick fiel sofort auf die Burka, die hinter ihm an der Wand hing.
Esther stand starr da, Mehsud schob sie sanft zur Seite und trat aus dem Haus.
Am Arm führte er sie aus dem Dorf hinaus. Sie dachte nichts außer: Es ist eben
so. Sie gingen in die Richtung, wo die Schlammlawine den Berg heruntergekommen
war.
    «Du hast
sie doch gefunden», sagte sie.
    «Es ist
nicht meine erste Frau.»
    «Nicht
deine erste?»
    «Meine
erste Frau und meine Tochter sind verschwunden und nicht wiederaufgetaucht,
das ist eine wahre Geschichte.»
    «Eine
wahre Geschichte, aber nicht die ganze Geschichte», sagte sie.
    «Diese
Geschichte war da zu Ende. Dann begann eine neue.»
    Er hatte
ihren Arm losgelassen, sie gingen auf den Schlamm zu. Ihr fielen ihre Eltern
ein, Thilo und seine Familie, Berlin, Rügen, das alles würde bleiben, wenn sie
wollte. Sogar die Bundeswehr würde bleiben, wenn sie rechtzeitig nach unten
ginge.
    «Und die
neue Geschichte wolltest du mir nicht erzählen.»
    «Du hast
mich nicht gefragt.»
    «Es ist
eine Geschichte, die man erzählen sollte, ohne dass gefragt wurde.»
    «Es tut
mir leid.»
    Sie waren
jetzt kurz vor der Schlammschneise. Sie hielt ihn am Arm zurück. «Wir können
nicht weitergehen», sagte sie, «vielleicht hat der Schlamm Minen mitgerissen.»
    «Gut, eine
Soldatin zu kennen», sagte er. «Du hättest eine Soldatin heiraten können,
wusstest du das?»
    «Nein.»
    «Es ist
so.» Sie standen an der Schlammschneise, noch immer gurgelte Wasser den Berg
hinunter. Esther sah jetzt, dass Mehsud barfuß war. Seine nackten Füße neben
ihren schweren Stiefeln. Sie musste lächeln, trotz allem. «Warum hast du eine
Frau wie diese?»
    «Du kennst
sie nicht.»
    «Sie trägt
eine Burka.»
    «Und?»
    «Deine
Frau, ich meine, deine erste Frau hat keine Burka getragen.»
    «Das war
eine andere Zeit.»
    «Ich
dachte, wirklich wichtige Dinge ändern sich nicht.»
    «So einen
Satz kann man nur in einem Land wie deinem sagen.»
    «Glaubst
du, dass deine Frau heute eine Burka tragen würde?»
    «Meine
Frau trägt eine Burka.»
    «Entschuldigung,
deine erste Frau.»
    «Würde sie
hier heute mit mir leben, würde sie eine Burka tragen.»
    «Weil es
dir gefällt?»
    «Weil es
hier Sitte ist.»
    «Eine
schlechte Sitte.»
    «Das sagst
du.»
    «Das sage
ich.»
    «Weil du
es sagen kannst.»
    «Ich
wollte mir ein Kleid kaufen, das das Blau einer Burka hat.»
    «Warum
hast du es nicht gekauft?»
    «Ich weiß
nicht. Du kennst mich nur in Uniform.»
    «Ja.»
    «Und mit
Gewehr.» Sie nahm das Gewehr hoch, es war noch entsichert. «Möchtest du es mal
in der Hand haben?»
    «Nein.»
    «Du
könntest mich erschießen.»
    «Warum
sagst du das?»
    «Damit dir
klar wird, dass ich dich erschießen könnte.»
    «Das weiß
ich, du hast ein Gewehr.»
    «Ich werde
dich nicht erschießen.»
    «Gut.»
    «Aber ich
bin traurig.»
    «Es tut
mir leid.»
    «Ich mache
immer den gleichen Fehler. Ich denke, dass die Welt nur das ist, was ich sehen
und hören kann. Aber die Welt ist viel
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