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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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kreisrund, der Rand fransig.
Es gab keine Blutspuren, offenbar hatte jemand die Burka gewaschen. Sie hörte
ein Schluchzen und sah auf. Rosemarie weinte, das Gesicht hinter den Händen. Esther
legte die Burka weg, setzte sich auf den Rand von Rosemaries Sessel und nahm
sie in den Arm. «Was soll diese Burka?», fragte Rosemarie.
    Esther
erzählte ihr von Fatima. Als sie fertig war, sagte Rosemarie, das sei doch
seltsam, dass ihre Tochter so eine Puppe gebraucht habe. Natürlich sei Fatima
nur eine Puppe gewesen, sagte Esther, aber sie war auch ein Trost, irgendwie,
und Afghanistan sei ein Land, in dem man viel Trost brauche. Maxi habe eben
besonders viel Trost gebraucht, wie sie jetzt wisse, und sie war nicht
religiös, soweit sie das wisse. Und Rosemarie solle bitte nicht denken, ihre
Tochter sei verrückt gewesen wegen der Puppe, es sei einfach schön gewesen,
sich ein Leben für Fatima auszumalen, und es habe der Stube so etwas Heimeliges
gegeben, Gemütliches, so wie, wie, Esther suchte lange, bis ihr ein Vergleich
einfiel, wie ein Tannenbaum zu Weihnachten. Sie hätten auf Rügen immer einen
Tannenbaum gehabt, ihre Mutter habe darauf bestanden, wegen der Gemütlichkeit,
wie sie sagte.
    «Wir
hatten so schöne Weihnachtsbäume», sagte Rosemarie, «Maxi hat sich viel Mühe
gegeben mit dem Schmücken.»
    Sie
weinten beide.
    Esther
setzte sich wieder auf das Sofa, und sie tranken die Flasche leer. Als es drei
Uhr morgens war, fragte sie, ob Rosemarie wirklich beim Lidl geklaut hätte.
    «Hat sie
dir das erzählt?»
    «Ja.»
    «Stimmt.»
    «Hast du
das Geld für das Shampoo wirklich später in die Kasse gelegt?»
    «Ja, aber
ich habe noch ein paarmal geklaut und nichts zurückgelegt.»
    Sie
prusteten, lachten.
     
    Als Esther
aufwachte, war sie allein in der Wohnung. Sie stand auf und schaute sich ein
wenig um. Fünf Türen außer der Wohnungstür, zwei offen, eine halboffen, zwei
geschlossen. Die Küchentür war offen, eine kleine Küche, auf dem Tisch ein
Teller, eine Tasse, ein Brotkorb mit zwei Brötchen, ein gekochtes Ei,
Marmeladen, Honig, Käsescheiben unter einer Folie, die über einen Teller
gespannt war, ein Blatt Papier mit einer Skizze. Sie ging zur nächsten Tür,
halboffen, ein Bett, ein Schrank, das Schlafzimmer der Mutter. Gegenüber war
das Wohnzimmer, aus dem sie kam, daneben das Bad, geschlossene Tür. Blieb
noch ein Zimmer. Sie stand davor, legte eine Hand auf die Klinke, aber dann
nahm sie die Hand wieder weg. Maxis Zimmer, das war klar. Neugier trieb sie hinein,
doch sie wollte nichts sehen, was ihre Erinnerung an Maxi ändern würde.
    Esther
frühstückte, duschte, nahm ihre Tasche und folgte der Skizze zum Friedhof.
Unterwegs kaufte sie Blumen. Kränze lagen auf dem Grab, vertrocknet schon, ein
Sportverein, die Bundesfarben. Auf dem Grabstein war ein Bild von Maxi, es
zeigte sie weicher, als Esther sie gekannt hatte. Fotoshop, dachte Esther, und
sie hasste es, dass einem blöde Wörter überall einfallen können, Wörter, die
unpassend sind, die man nicht will. Sie legte die Blumen ab, stand eine Weile
vor dem Grab, und dann ging sie zu Lidl, um sich von Rosemarie zu
verabschieden. Sie saß an der Kasse. Die beiden Frauen umarmten sich, Rosemarie
gab ihr eine Tüte mit Shampoo, Seife und Süßigkeiten mit.
    Hinter Frankfurt
überlegte Esther, ob es sein könne, dass sich Maxi ihretwegen umgebracht hatte.
Dieser Gedanke war ihr sofort gekommen, als sie von dem Baby hörte. Vielleicht
konnte Maxi sich eine Zeitlang damit trösten, dass nur die anderen den Krieg
auf Kinder ausdehnen. Vielleicht hielt sie nur das gerade so über Wasser. Und
dann musste sie hören, dass die Amerikaner zwei Kinder getötet hatten.
Jedenfalls hatte eine Amerikanerin den Hof bombardiert, korrigierte sie sich,
aber sie, Esther, hatte das möglich gemacht. Durch Schweigen. Doch davon
wusste Maxi nichts. Also hatte sie sich nicht wegen ihr umgebracht, sondern
weil auch die ISAF in der Lage war, Kinder zu töten. Esther sah grüne Hügel
durch das Zugfenster, Dörfer mit spitzen Kirchtürmen, Kühe. Oder hatte sie
Maxi womöglich einmal von der Frau und den Kindern am Fluss erzählt? Sie grub
in ihrer Erinnerung, fand aber nichts. Erleichterung. Andererseits: Wenn sich
Maxi umgebracht hatte, weil sie es nicht ertragen konnte, dass die ISAF Kinder
tötete, dann letzten Endes doch ihretwegen, weil sie, Esther, gegenüber Sally
geschwiegen hatte. Aber verdammt nochmal, sie hatte nicht aus Grausamkeit
geschwiegen, sie konnte
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