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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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sie?»
    «Ich
kämpfe jeden Tag darum, sie zu lieben, und manchmal liebe ich sie bis zum
Abend, aber immer häufiger schon am Morgen nicht mehr. Sie sagt ein Wort, und
ich habe den Kampf verloren. Sie macht ein bestimmtes Gesicht, und ich habe den
Kampf auch verloren.»
    «Gibt es
eine Perspektive?», fragte sie.
    «Ja.»
    Er brachte
sie wieder nach Hause, und sie küssten sich lange im Taxi. Der Fahrer stand
draußen und rauchte. Dann stieg er ein und sagte, er müsse den Weg freimachen,
hinter ihm sei einer. Esther wohnte in einer schmalen Straße, in der es nur
eine Spur gab, wenn die Ränder zugeparkt waren, und das waren sie immer.
    «Fahren
Sie», sagte Thilo und küsste sie wieder.
    «Wohin?»,
fragte der Taxifahrer.
    «Fahren
Sie so, dass Sie bei fünfzig Euro zurück sind.»
    Das Taxi
startete, Esther kringelte sich um Thilo und verlor sich in einem endlosen
Kuss. Wenn sie die Augen öffnete, sah sie rote Ampeln, gelbe Ampeln, grüne Ampeln,
weiße Lichter, die Lichter der Stadt. Das Taxi rollte, stoppte, stand, fuhr an.
Eine Hand Thilos war in ihren Haaren, eine auf ihrem Hintern.
    «Von
deinen Küssen könnte ich leben», hörte sie ihn sagen.
    Manchmal
tickte der Blinker, einmal ertönte eine Hupe. Als das Taxi hielt und nicht
wieder anfuhr, erwachte sie aus einer Trance. Sie drehte sich nach vorne und
sah die Zahl 50,40 auf dem Taxameter.
    Thilo sah
sie lange an. Sie schüttelte den Kopf, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und
stieg aus, ihre ersten Schritte waren unsicher. Als sie im Bett lag, fragte sie
sich, ob fünfzig Euro das Maß für eine große oder für eine kleine Liebe sind.
Warum nicht hundert? Zweihundert? Warum nicht nach Paris? Nach Barcelona? Nach
Wien?
    Er kam
nicht mehr in die Bar, sie trafen sich in den guten Restaurants der Stadt.
Danach küssten sie sich im Taxi, sie erreichten hundert, hundertzwanzig Euro.
Als sie einmal an einer Ampel die Augen aufschlug, sah sie Schneeflocken, rote
Schneeflocken vor dem roten Licht. Es war Februar. Sie richtete sich auf, sie
kannte diese Gegend nicht. War das noch Berlin? Es war egal, sie sank zurück,
der nächste Kuss.
    «Der
Taxifahrer gestern meinte, ich soll dich heiraten», sagte Thilo eines Tages im
Taxi. «Als wir alleine waren, sagte er, dass du eine gute Frau bist und ein
anständiges Leben verdient hättest. Er war Türke oder Araber.»
    «Dann
heirate mich doch», sagte Esther.
    Er küsste
sie. Im Radio erzählte jemand, dass sein Hund am Grunewaldsee von einem anderen
Hund gebissen worden sei. Sie hörte eine Weile Hundegeschichten, dann verlor
sie sich in dem Kuss. Als ihre Zähne gegen Thilos klackten, wusste sie, dass
ihr Taxi über Kopfsteinpflaster fuhr. Es gab noch viel Kopfsteinpflaster in
Berlin.
    «Du siehst
ihre Gesichter nicht», sagte Thilo in einem der Restaurants. «Ich sehe sie im
Rückspiegel, Taxifahrergesichter: alte Deutsche, die früher Tankwart waren,
mittelalte Iraner, denen man die Folter noch ansieht, junge Türken, die so
entschlossen das Lenkrad einschlagen, als sei dies der nächste Schritt zu einem
weltumspannenden Taxiimperium. Es gibt Wegschauer und Hingucker. Die Wegschauer
unterteilen sich in die wohlwollenden und die missbilligenden, bei den
Hinguckern gibt es die mit den geilen und die mit den strafenden Blicken. Die
gefolterten Iraner sind alle wohlwollende Wegschauer, die meisten Ex-Tankwarte
strafende Hingucker.»
    «Du hast
die Augen auf beim Küssen?»
    «Manchmal.»
    «Mach sie
zu.»
    «Fährst du
mit mir ein paar Tage nach Heiligendamm?»
    «Mit dem
Taxi?»
    «Mit
meinem Auto.»
    Sie hatte
nein gesagt, als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm in Berlin in ein Hotel
gehen würde. Hotel in der eigenen Stadt, das war etwas für Nutten und
verheiratete Frauen. Jetzt sagte sie ja.
     
    Eine Woche
später klingelte er an einem frühen Sonntagabend bei ihr. Sie hatte ihre
Tasche schon gepackt und stieg dann in einen Renault Kombi, Familienkutsche,
hinten waren zwei Kindersitze. Es begann zu schneien, als sie auf der Autobahn
waren. Es schneite die ganze Fahrt über. Am Oranienburger Kreuz nahm sie seine
rechte Hand und ließ sie bis Heiligendamm nicht mehr los. Der Renault pflügte
mit knapp hundertsiebzig durch den Schnee, sie hörten Coldplay und sagten
nichts. Manchmal gab Thilo einen neuen Zwischenstand an. Er versuchte, den
Navigator zu schlagen, wie er das nannte: vor der beim Start errechneten
Ankunftszeit in Heiligendamm sein. Wenn er seine Hand zurückzog, um die
Scheibenwischer auf eine
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