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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk
Autoren: Kriegsbraut
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Nachnamen zu schlafen, wollte aber auch
niemanden kennenlernen, noch nicht. Und nie wieder das, was sie schon gehabt
hatte, sieben zähe Jahre. Sie wollte jetzt ihren Job in der Bar gut machen, als
müsse sie eine Schuld abarbeiten.
    Ihre
liebsten Stammgäste waren ein Mann und eine Frau, die einmal in der Woche kamen
und sich auf eine Bank im hinteren Raum setzten. Sie bestellten ein Bier und
ein Bitter Lemon und küssten sich bis zum Morgengrauen. Ihre Hände
verschwanden manchmal unter dem Tisch, Esther sah nicht so genau hin. Wenn die
beiden die Cincinnatus Bar verließen, waren ihre Gläser nicht leer, sie hatten
keine Zeit gehabt. Esther fragte sich, warum die beiden nicht früher gingen.
Sie überlegte, ob sie ihnen den Schlüssel für ihre Wohnung geben sollte, damit
sie ungestört sein konnten, aber dann fand sie das zu aufdringlich. Sie mochte
die beiden. Er trug immer einen Anzug, sie immer eine Jeans.
    An einem
frühen Morgen, als sie wieder allein war mit den beiden und Flaschen sortierte,
kam ein Mann herein, der etwa einen Meter und achtzig groß und ein bisschen
gedrungen war. Er hatte einen kahl rasierten Schädel und trug eine Brille mit
einem dicken Rand aus Schildpatt. Sie schätzte ihn auf Anfang vierzig.
    «Die von
Warner Brothers sind vollkommen verrückt», sagte er, nachdem er einen Four
Roses ohne Eis bestellt hatte. Den ganzen Abend habe er mit dem
Deutschland-Chef des Verleihs verhandelt, weil er dessen Geld brauche, um den
Film über die Riefenstahl machen zu können; hätte er erst die Zusage von
Warner Brothers, sei es kein Problem mehr, das andere Geld einzusammeln, aber
der Kerl sei so sperrig gewesen, dass alles auf der Kippe stehe. «Wir können
nicht den Adolf die Riefenstahl küssen lassen», habe der Chef von Warner
Brothers gesagt, das deutsche Publikum sei noch nicht bereit für einen
küssenden Führer. «Dummkopf», habe der Mann erwidert, das sei es doch gerade,
das deutsche Publikum müsse endlich sehen, was es noch nie gesehen habe, und
einen küssenden Führer habe es noch nie gesehen. «Die Riefenstahl hat den
Führer nämlich geküsst», sagte er, sie habe ihm das selbst erzählt. Die Frage
sei nur, ob der Führer die Riefenstahl auch gefickt habe, sie sei immer so
undeutlich in diesem Punkt. Wenn man ihn frage, er klopfte sich mit dem
Zeigefinger auf die Brust, dann sage er: «Der Führer hat nicht gefickt.» Das
sagte er so laut, dass das Paar sich voneinander löste und zur Theke blickte.
«Der Führer hatte keine Zeit und auch keine Lust», sagte der Mann. Er bestellte
noch einen Four Roses, wieder ohne Eis. Dann nahm er seine Brille ab und hielt
sie ins Licht. Esther legte ihm eine Serviette hin, mit der er über die
Brillengläser wischte. Ohne die Brille sah er ein bisschen jungenhaft aus.
    «Entschuldigung»,
sagte er.
    «Wofür?»
    «Dass ich
Sie so überfallen habe.»
    «Ist
okay.»
    «Kennen
Sie die Szene aus French Connection II, wo Gene Hackman in einer Bar in
Marseille einen Four Roses bestellt?»
    «Nein.»
Sie hatte nur «French Connection» gesehen.
    «Ich
bestelle seitdem immer einen Four Roses, wenn es mir nicht gutgeht.»
    Sie wusste
nicht, was sie sagen sollte.
    «Er schaut
so traurig. Niemand schaut so traurig wie Gene Hackman in French Connection
II».»
    Das Paar
aus dem hinteren Raum wollte zahlen. Sie ging hin und kassierte, die Gläser
waren wieder nicht leer. Das Paar verließ die Bar, der Mann warf einen skeptischen
Blick auf den Mann an der Theke.
    «Ich
versuche seit sechs Jahren, einen Spielfilm über die Riefenstahl zu
finanzieren», sagte er, «aber es ist wahnsinnig schwer, das in Deutschland zu
machen. Die amerikanischen Filmleute verehren die Riefenstahl, hier denken sie
nur, sie sei eine Nazischlampe.»
    Esther
nickte. Was sollte sie sagen?
    Er trank
seinen Four Roses, zahlte und ging. Zum Abschied hatte er ihr die Hand
gegeben.
     
    Dass er am
nächsten Abend nicht wiederkam, fand sie einerseits gut, weil sie nicht wollte,
dass er ein gieriger, älterer Mann war, der eine jüngere Frau braucht, um sich
gut zu fühlen. Aber sie hätte ihn gerne wiedergesehen. Vier Tage später tauchte
er kurz nach Mitternacht in der Cincinnatus Bar auf. Seine Frau hieß Greta. Sie
hatten zwei Kinder miteinander, und Esther war ein bisschen enttäuscht, dass er
irgendwann nur noch von diesen Kindern erzählte, als wolle er sich nicht
einmal auf ein Spiel mit ihr einlassen. Um halb fünf sang er ein Lied für sie,
«Lucky» von Radiohead. Es ging um
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