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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage
Autoren: Anna Katharina Hahn
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demselben Mann zu schlafen. Im Gespräch mit Frauen, die sie nicht gut kennt, erfindet sie Affären und frühere Liebhaber: Professoren, Taxifahrer, Barkeeper. Sogar den Fick im Fahrstuhl, den sie natürlich mit Simon in einem Pauschalhotel an der Costa del Sol vollzogen hat, läßt sie dann auf das Konto eines einheimischen Kellners gehen.
    Die Kinder johlen. Bernd und Stavros, die beiden Erzieher, kommen aus dem Haus, an den Händen geblümte Ofenhandschuhe. Die Männer tragen große Bleche mit gerösteten Brotwürfeln. Geschickt reißen sie Aludeckel von Schmandbechern, verteilen Löffel und geben die Suppe aus. Die meisten Kinder sind hungrig. Bunte Plastikschüsseln werden gefüllt, sie häufen Brotwürfel darüber, essen gierig. »Da sind bestimmt ein paar dabei, die heute zum ersten Mal was Warmes kriegen«, flüstert Simon Leonie ins Ohr. Er ist hinter sie getreten, Feli wechselt sofort von seiner Hand in ihre. Die kleine Pfote ist klebrig und weich wie aus Teig, die Knochen darunter biegsam und schmal. Leonie streichelt die Finger und fühlt ihr Ebenmaß, die Zartheit der Haut. Die Körper der Kinder erstaunen sie jeden Tag, genauso wie die grausame Tatsache, daß ihre eigenen, immer wieder eingecremten Hände gegen die der Mädchen fleckig und alt aussehen.
    »Nur unsere Wohlstandsblagen sind wählerisch. Sieh mal, wiedie kleinen Zicken sich wieder zieren!« Tatsächlich zögert Lisa, als Bernd ihr die volle Kelle hinhält, und Leonie weiß, daß es nicht an seinem schwarzroten Henkerskostüm liegt. »Eigentlich mag ich Suppe nicht so gern.« Feli knabbert ein paar Brotwürfel und drückt sich an Leonies Beine. »Ich gehe jetzt. Kann spät werden.« Simon winkt Lisa zu, die zu ihm herüberstrahlt, geht in die Hocke und reibt seine Nase an Felis. Sie kichert tief und kehlig, das drekkige Lachen einer Comicfigur. Dann greift er Leonie unter das Kinn und dreht ihr Gesicht zu sich herüber, eine Machogeste, die er ebenso kultiviert wie Klapse auf den Po und Pinkeln im Stehen. Doch es fehlt das Fordernde, das Grinsen mit den Wangengrübchen, die geflüsterten Unanständigkeiten. Seine Augen sind umschattet und müde, der Druck der Hand schlaff. Leonie sieht genau, daß er schon längst nicht mehr hier ist, sondern im Büro. Simon ist inzwischen Vertriebsleiter bei seiner alten Firma. Sie stellen Dichtungssysteme für die Automobilindustrie her. Gerade geht es dort nicht besonders gut, man hat mit der Konkurrenz aus Osteuropa und China zu kämpfen.
    »Krieg ich keinen Kuß?« Er küßt sie schnell und ohne Zunge, eine neue Gewohnheit und für Leonie genauso enttäuschend wie die Tatsache, daß Simon nicht ein Wort über ihren kurzen Rock und die hohen Stiefel verloren hat. Die Sachen sind keinesfalls spielplatztauglich. Sie weiß, daß er ihre Businessklamotten nicht mag, die dunklen Kostüme und Hosenanzüge: »Das tragen die Mädels in der Firma auch. Wie beim Bund.« Sie baut für ihn den Popperstil der Abiturientin aus dem Reihenendhaus nach, auf deren Eroberung er so stolz ist wie auf seinen Saab oder die Tatsache, daß zu seinen Untergebenen Leute mit Promotion gehören.
    Jetzt steigt Simon die wacklige Sandsteintreppe herunter, winkt noch einmal, dann dreht er sich nicht mehr um. Vor ihm her rennen Kürbiszombie und Begleitung, johlend und sich gegenseitig anrempelnd. Das schwere Eisentor fällt scheppernd ins Schloß.Feli fängt an zu quengeln und läßt sich nicht beruhigen, reckt sich zu Leonie hoch und hängt sich an ihren Gürtel. Auch wenn es Schleifspuren von Dreck auf dem hellen Cordrock geben wird und fettige Brotkrümel auf dem Mantel, Leonie hebt ihre Jüngste hoch und schaut ihr ins Gesicht. »Was ist los, Mausi? Willst du nicht mehr laufen?« Feli versteckt ihr Gesicht an ihrem Hals, das Haar ist weich wie ein kostbarer Pelz. Sie ist schwer, viel schwerer als Lisa mit zwei Jahren. Der brennende Schmerz in Kniesehnen und Schulterblättern warnt Leonie vor dieser Art der Belastung. Sie weiß, daß sie Feli zum Laufen ermuntern muß, besonders zum Treppensteigen, aber sie kann der Versuchung nicht widerstehen, dieses kleine Geschöpf, das sie vor einem Jahr noch gestillt hat, an sich zu drücken, die verstümmelte Sprache zu hören, in der sich noch kein komplizierter Sachverhalt und keine Bosheit übermitteln lassen. Sie trägt Felicia oft, nicht nur, um die Wärme und Schmiegsamkeit des rundlichen Körpers zu genießen, sondern auch, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Vor anderen würde
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