Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
bei einer Bank und beschäftigt sich mit Dingen, von denen ich keine Ahnung habe. Irgendwann kommt er auf seine Frau zu sprechen. Er spitzt die Lippen, als er ihren Namen nennt, es klingt fast ein wenig türkisch, etwa wie Bürgüt. »Du siehst sie doch fast jeden Tag«, beginnt er, »und du kennst sie schon seit Jahren. Ist dir in letzter Zeit nichts aufgefallen?«
    Ich verstehe nicht, worauf er hinauswill.
    Steffen sucht nach den richtigen Worten. Es ist ihm offenkundig peinlich, auf eine lang zurückliegende Affäre anzuspielen, die Birgit mit einem Sportlehrer gehabt hatte. »Damals hat sie sich ähnlich verhalten«, sagt er besorgt. »Abends geht sie oft weg, angeblich zu Elternabenden, eine kranke Kollegin besuchen oder zu einem Vortrag an der Volkshochschule. Sie ist unzuverlässig geworden, stets in Gedanken, gereizt und patzig. Manchmal ertappe ich sie mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen, das ganz bestimmt nicht mir gilt.«
    Das alles überrascht mich nicht. Birgit ist bekannt dafür, dass sie nichts anbrennen lässt. Aber aus dem Kollegium kommt keiner in Frage, das hätte ich gemerkt, oder man hätte es mir gesteckt. Auf ihrer [29] letzten Klassenfahrt hatte sie unseren reizlosen Referendar mit, der sicherlich nicht in Frage kommt. Also beruhige ich Steffen erst einmal.
    »Sorry, ich wollte dich nicht ausspionieren«, sagt Steffen. »Ich hatte nur für die Sommerferien einen Fortbildungskurs für psychologische Gesprächsführung gebucht, und Birgit hat es abgelehnt, mit nach Rostock zu kommen. Was hast du eigentlich vor, fährst du wieder nach Frankreich?«
    Dumme Frage, denke ich. »Meine Mutter hat mich zu zwei Wellness-Wochen eingeladen. Seit dem Tod meines Vaters kommt sie auf merkwürdige Ideen.«
    »Wie bitte, dein Vater ist gestorben? Das wusste ich ja gar nicht! War das nicht so ein kerngesunder Luis-Trenker-Typ, ein ewiger Bergsteiger?«
    Ich nicke. »Abgestürzt«, seufze ich. Papa ist nach einem Schlaganfall zwar nur aus dem Bett gefallen, aber darüber mag ich jetzt nicht reden.
    »Wie verkraftet es deine Mutter?«, fragt Steffen teilnahmsvoll.
    »Ganz gut«, antworte ich. »Sie reist viel herum, ist Vorsitzende ihres Wanderklubs geworden und lernt Italienisch. Man kann fast sagen, sie blüht auf. Dabei war es eine vorbildliche Ehe!«
    »Sagenhaft!«, meint Steffen, er hat nur aus Höflichkeit zugehört, in Gedanken ist er woanders.
    [30] Wir beobachten beide einen Spatz, der sich auf den Nachbartisch traut, einen Weißbrotbrocken erwischt und schnell das Weite sucht. Der holt sich einfach, was er braucht, denke ich.
    Irgendwann meint Steffen nun doch, auf unsere zurückliegende Freundschaft anspielen zu müssen. »Es ist so schade, dass wir uns ganz aus den Augen verloren haben«, findet er. »Hast du gelegentlich noch Kontakt mit Gernot?«
    Ich schüttele nur den Kopf. Steffen gehen meine Privatangelegenheiten nichts an. Doch wenn er schon so neugierig nachforscht, dann kann ich es auch. »Siehst du ihn denn gelegentlich? Wohnt er überhaupt noch in unserem Häuschen?«
    »Selbstverständlich, er hat es schließlich von seiner Tante geerbt! Erst am vergangenen Montag bin ich durch die Postgasse gefahren und habe seinen Wagen am Straßenrand stehen sehen. Aber ich war in Eile, sonst hätte ich mal vorbeigeschaut.«
    Ich interpretiere seine Worte als leichte Zurechtweisung. Es ist nicht mehr unser Häuschen, sondern Gernots alleiniges Eigentum.
    Als Steffens Handy klingelt, ist seine Mutter dran. Ich wühle unterdessen in meiner Tasche nach dem Fahrradschlüssel und schreie auf, weil ich mich an etwas Spitzem steche. Mit einer Papierserviette versuche ich, den blutenden Finger zu umwickeln.
    [31] Steffen hört sofort auf zu telefonieren und holt ein Pflaster aus dem Verbandskasten seines Autos.
    »Wie konnte denn das passieren?«, fragt er, nachdem er mich verarztet hat. »Der Schnitt ist ziemlich tief!«
    Vorsichtig packe ich mit der linken Hand meine Tasche aus und lege – bis auf die Sudokus – meinen gesamten Plunder auf den kleinen Bistrotisch. Zuunterst finde ich das japanische Kochmesser von Julian, das ich heute konfisziert habe. Natürlich sollte ich seine strickende Großmutter benachrichtigen, wozu ich wenig Lust habe, denn ich fürchte diese militanten Pionierinnen der Friedensbewegung. Der gutmütige Julian hat bestimmt in aller Unschuld das Messer zum Obstschälen verwendet.
    »Ein bodenloser Leichtsinn«, meint Steffen kopfschüttelnd. »Wie kann man nur ein so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher