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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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den gekannt. Ach, der Theo … Ich versteh das gar nicht. Einfach umfallen … und nicht mehr aufstehen.«
    »Wieso ist er umgefallen?«
    »Das sagen die Leut. Das Herz.«
    »War er denn herzkrank?«
    »Keine Ahnung. Eigentlich nicht. Man hat ihn ab und zu joggen sehen am See. Und mit den Buben hat er immer Fußball gespielt. Die waren ganz begeistert von ihm. Und auch die Mädchen. Er hat eine Mädchen-Fußballmannschaft aufgemacht, und alle Mädchen im Dorf wollten dabei sein … Manche haben dann schon wieder gemunkelt, ob er wohl einer von denen ist … denen … Pädodingsda …«
    »Pädophilen.«
    »Ja, eben die Kinderficker.«
    »Und?«
    »Schmarren. Das sagen jetzt alle. Wenn ein katholischer Pfarrer näher als drei Meter an einem Kind ist, ist er schon so ein … ein … so ein Pädo … Die Idioten.«
    »Beim Stammtisch haben’s gesagt, er ist schwul gewesen.«
    »Ha, dass ich nicht lach … Der und schwul …«
    »Ist er den Weibern nach?«
    »Nein, die Weiber sind ihm nach. Drum sagen die Mannsbilder ja, er war schwul. Der war net schwul. Der hat nur Manieren gehabt. Der hat gewusst, wie man sich bei einem Weib benimmt.«
    »Ah …? Wie benimmt man sich bei einem Weib?«
    »Na eben wie ein Schwuler. Man redet. Mit dem Theo hat man reden können. Nicht nur über Landmaschinen und Stall umbauen. Übers Leben. Freundschaft. Sehnsucht. Schönheit. Über seelische Sachen eben. Wenn man mit dem Theo geredet hat, dann ist man sich vorgekommen wie eine Frau. Wenn man mit unseren Dorfdeppen redet, kommt man sich vor wie eine Kuh vorm Besamen.«
    »Jetzt geh!«
    »Er hat auch nicht gesoffen, wie die anderen. Ab und zu hat er ein Glas Wein getrunken. Vino rosso , hat er gesagt, und genippt. Und gekocht hat er.«
    »Gekocht?«
    »Ja, er hat keine Haushälterin gehabt. Er hat auch keine gebraucht. Ab und zu hat er am Samstagabend gekocht, und ein paar von den Frauen aus der Gemeinde eingeladen. Die Männer waren beim Bier und haben sich besoffen. Er hat ›Candle-Light-Dinner‹ gemacht. Ganz sauber. Waren immer ein paar Frauen dabei, die vom Chor, und die von der Jugendarbeit.«
    »Du auch?«
    »Nein, ich nicht. Ich hab’s nicht so mit der Kirch. Aber die anderen haben es mir erzählt. Der hat besser gekocht als die Weiber miteinander. Lauter ausgefallene Sachen. Advokaten. Kock o Wein. Böff Stroganoff. Und natürlich Italienisch.«
    »Pizza?«
    »Nein. Nix so Ordinäres. Tagliatelli. Terra cotta. Tiramisu. Spaghetti cozze.«
    »Pfui Teufel!«
    »Typisch Mann! Aber deshalb haben die Männer ja gedacht, er ist schwul. Wer bei uns als Mann kocht, ist schwul. Wer sich mit Kindern abgibt, ist schwul. Wer einer Frau sagt, wie schön sie ist, ist oberschwul.«
    »Klingt ja wie ein Heiliger. Sehr charmanter Heiliger. Drei-Michelin-Sterne-Heiliger.«
    Ich wurde eifersüchtig auf diesen Theo.
    Dachte: Der schwule Candle-Light-Wichser.
    Sagte: »Interessanter Mann.«
    »Und wer bei uns was anders frisst als Kässpätzle, der ist auch schwul.«
    »Vielleicht hat ihm des ausländische Essen nicht gutgetan. Dass er deshalb umgekippt ist.«
    »Schmarren!«
    »Aber hat er mit keiner von den Candle-Light-Frauen was … Ich mein, rausschwitzen hat er sich’s ja auch nicht können.«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Ihre Stimme war scharf geworden.
    »Hätt ja sein können.«
    »Er hat schon seine Lieblingsdamen gehabt.«
    »Aha. Welche denn?«
    »Keine Ahnung.«
    Die Art, wie sie mir die Haare schnitt, war anders geworden.
    Schneidend.
    Sie rückte mir den Kopf zurecht, als wollte sie mir das Genick brechen. Ich war mit meiner Fragerei auf etwas gestoßen, was ich nicht wissen durfte. Das Geheimnis der Frauen?
    Ich wechselte das Thema. Selbsterhaltungstrieb.
    »Du, sag mal, der Toni, kennst du den?«
    »Welchen Toni?«
    Ich erzählte ihr von meinem Frühschoppen, der durch den irren Toni so abrupt geendet hatte.
    »Ach, der Toni. Der Metzgertoni. Typisch.«
    »Wieso Metzgertoni?«
    »Der war früher Metzger. Aber der hat seine ganze Metzgerei versoffen. Dann hat er sich in die Finger geschnitten. Berufsunfähig. Man sagt auch, er hat sich noch was anderes weggeschnitten. Aber das kann nicht sein. Er hat zwei Kinder. Und das dritte ist unterwegs. Die arme Toni!«
    » Der arme Toni!«
    »Nein, die arme Toni. Seine Frau heißt auch Toni. Er heißt eigentlich Anton.«
    Der Anton aus Tirol.
    Ich bin so schön. Ich bin so toll. Ich bin der Anton aus Tirol.
    »Und seine Frau heißt eigentlich Antonie. Aber man sagt einfach Toni zu
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