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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Pornos kann ich mir merken, auch wenn ich nicht will. Pornos sind langweilig. Es gibt einfach zu wenige Geschlechtsteile. Es gibt mehr Noten als Geschlechtsteile. Besonders seit der Zwölf-Ton-Musik. Deshalb sind CD s weniger langweilig als Pornos.
    Saufen? Vorm Haus hocken und mich volllaufen lassen? Nicht schon am Mittag. Dann bin ich bis abends blau, und morgen früh kann ich mich wegschmeißen. Ich muss morgen früh laufen. Und nach Kempten fahren. Zur Redaktion von der Allgäuer Rundschau. Meine neue Karriere auf den Weg bringen.
    Mountainbiker überholten mich, Autos bretterten an mir vorbei. Die Einheimischen brettern, man sieht es an den platt auf den Asphalt gebügelten Kröten, die Fremden schleichen bergauf und bremsen bergab. Von der Ferne sah ich in der gleißenden Sonne frisch polierte Autos glänzen. Sie parkten neben der Alm vor der kleinen Marienkapelle. Benannt nach der roten Maria vom »Schwarzen Adler«. Unsinn! Manche Leute machen sonntags eine Kapellen-Tour. Gibt ja genügend in der Gegend. Kapellen. Und Leute, die lieber Kapellen anschauen als Pornos.
    Nein, heute keine Kirche mehr, und wenn sie noch so klein ist. Am Ende hängt der Nächste drin.
    Der Toyota der Nachbarin überholte mich. Sie saß am Steuer, hupte, winkte. Sie wohnte im nächsten Anwesen, fünfhundert Meter weiter. Wir grüßten uns immer sehr begeistert, redeten fast nie miteinander. Ich wusste, dass sie ein Piercing am Bauchnabel trägt. Wenn sie die Kühe auf die Weide trieb oder von der Weide heimtrieb, hatte sie immer ein knappes Top an. Deshalb wusste ich, dass sie ein Piercing am Bauch hatte. Die Bauersfrau. Eine Bauersfrau mit Piercing am Bauchnabel. Mein Gott. Werde ich alt! Außerdem wusste ich, dass sie Trompete spielte bei einer Kapelle. Und dass sie gelernte Friseuse war.
    Da kam mir die Idee!

Friseuse
    Ich war gerade so angesoffen, dass ich den Kopf noch aufrecht halten konnte. Gegen neun am Abend kam sie an mit ihrem Friseusenköfferchen. Der Bauch war bedeckt. Ausgemacht gewesen war sechs Uhr. Aber was sind schon drei Stunden im Angesicht der Ewigkeit? Sie sagte:
    »Tut mir leid, ich hab noch blasen müssen.«
    »Trompete?«, fragte ich.
    »Ja, Trompete. Was sonst?«
    »Ach nix.« Dem Reinen ist alles rein.
    Ich stellte einen Stuhl in die Mitte meines Dachzimmers.
    »Tu eine Decke drunter. Die Haare …«
    »Ach ja, okay. Was für eine Decke?« Komm unter meine Decke …
    »Irgendeine, für die Haare zum Drauffallen.«
    Ich nahm die nächste Wolldecke, die ich fand. Komm und mach es dir bequem …
    Ich setzte mich auf den Stuhl. Bauernstuhl. Mit Herz in der Rückenlehne.
    »Hast ein Handtuch? Um den Hals. Sonst wird dein weißes Hemd voller Haar.«
    Ich hab kein Handtuch. Kein frisches, dachte ich, nur alte, vermiefte.
    Ich sagte:
    »Das Hemd kommt sowieso in die Wäsche. Ist wurscht.«
    Ich lutschte ein Pfefferminz. Ich wollte nicht, dass sie meine Fahne riecht.
    »Sommerschnitt?«, fragte sie.
    Summer Wine, dachte ich. Von Ville Valo. Alter Schlager. Von 2007. Handelt von der Verführung.
    Ich sagte:
    »Was ist Sommerschnitt?«
    »Kurz.«
    »Nein, lang.«
    »Ich kann’s dir nur kürzer schneiden, nicht länger.«
    »Halt nicht ganz kurz. Keine Glatze. Bin doch kein Skinhead.«
    »Ist aber in Mode.«
    »Ich bin außerhalb der Mode. Aus der Mode rausgewachsen. Zeitlos schön.«
    Sie lachte nicht. Dann eben nicht. Blöde Kuh. Ich werde ihr Bauchpiercing auch ignorieren. Nahm ich mir vor.
    »Also?«
    »Schneid halt a bissle weg, net zu viel. Net dass jeder sieht, dass ich beim Friseur war.«
    »Friseurin.«
    »Ja, Friseuse, ist doch wurscht. Ich mein, ich will halt normal aussehen, nicht wie frisch gerupft.«
    Sie belehrte mich, dass eine gelernte Friseurin eine Ausbildung hat, während eine Friseuse so was ist wie eine Fritteuse, oder einfach eine Schlampe. Dann sagte sie:
    »Also, dann nicht zu kurz.«
    »Lang.«
    »Ich mach’s schon recht, wirst sehen.«
    Als sie mir vor einem Jahr einen Sommerschnitt verpasst hatte, brauchte ich bis in den Spätherbst hinein, bis ich im Spiegel mein gewohntes Selbst wiedererkannte.
    Sie fing an zu schnippeln.
    Ich sagte nichts. Wenn man was erfahren will, muss man schweigen.
    Sie sagte:
    »Hast gehört, was passiert ist?«
    Ich schwieg.
    »Heut früh, in der Kirch …!«
    Ich schwieg weiter.
    »Der Pfarrer ist tot abtransportiert worden.«
    »Ja, ich hab’s g’hört. Und was meinst denn du dazu? Du hast ihn ja gekannt. Vom Blasen.«
    »Der Theo, natürlich hab ich
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