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Krock & Co.

Krock & Co.

Titel: Krock & Co.
Autoren: Friedrich Glauser
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Hoffentlich, meinte das Hedy noch, bringe diese Mordgeschichte den Kindern kein Unglück.
    »Chabis!« sagte Studer, der nur im geheimen ein wenig abergläubisch war. Dann legte er den Kopf auf die gefalteten Hände und starrte in die Dunkelheit. Der Mond wanderte – nun schien er ins Zimmer und der Wachtmeister fand, er gleiche jemandem… Er grübelte, grübelte. Und plötzlich wußte er es: Der Rechsteiner, der kranke Wirt des Hotels ›zum Hirschen‹ hatte ein unregelmäßiges Gesicht, wie der Mond, der am Abnehmen war.

 
    Studer erwachte um halb vier. Draußen war es schon hell. Er stand leise auf, um seine Frau nicht zu wecken, nahm dann seine schwarzen Schnürschuhe in die Hand, schlich hinaus und über den Gang die Treppen hinab. An der Tür des Vorkellers blieb er eine Weile stehen, lauschte… Im ganzen Hause herrschte die gleiche Stille wie hinter der Tür. Sachte schloß Studer auf, trat in den Vorkeller und blieb vor dem Tisch stehen. Er wußte selbst nicht, was er hier wollte. Aber plötzlich kam ihm in den Sinn, daß er am Abend vorher die Kleider der Leiche nicht untersucht hatte. Er schlug das weiße Leintuch zurück – das Taschendurchsuchen würde nicht schwierig sein. Es kamen ja nur die Hosen in Frage…
    Ein Portemonnaie… Vier Zwanzigernoten, drei Fünfliber, Münz… Ein Nastuch. Ein Sackmesser an einer Kette… In der hinteren Tasche ein dickes Portefeuille.
    Briefe, Briefe, Briefe… »Herrn Jean Stieger, Sekretär, Bahnhofstraße 25, St. Gallen…«
    Hm. Der Herr Stieger konnte sich nicht Johann oder Hans nennen wie ein gewöhnlicher St. Galler. Sondern ›Jean‹! Er hatte sich wohl eingebildet, es sei vornehmer.
    Auf allen Briefumschlägen die gleiche Schrift. Zwanzig Umschläge – aber alle leer!
    Verständnislos schüttelte Studer den Kopf. Was hatte das für einen Sinn, leere Enveloppen mit sich herumzuschleppen? Der Wachtmeister sah sich die Marken näher an: sie trugen den Poststempel von Schwarzenstein. Und als er die Umschläge auf einer freien Ecke des Tisches geordnet hatte, konnte er feststellen, daß der erste am 12. Mai aufgegeben worden war und der letzte am 20. Juni. In neununddreißig Tagen zwanzig Briefe – das machte im Mittel alle zwei Tage einen Brief. Auch der Absender war nicht schwer festzustellen.– »Fräulein Marthe Loppacher, Hotel zum Hirschen, Schwarzenstein.« Und Studer schüttelte den Kopf. Das mußte eine eingebildete Gans sein, diese Loppacher! Sich auf dem Absender ›Fräulein‹ zu nennen!
    Wo aber waren die Briefe hingekommen, die sicher gestern noch in den Enveloppen gesteckt hatten? Studer starrte vor sich hin. Er sah wieder deutlich die Szene im Gärtlein hinterm Haus: Zwei Taschenlampen gaben ein spärliches Licht. Der Stallknecht Küng hielt eine der Lampen, und Albert, der Schwiegersohn, die andere. Der Tote lag auf dem Bauche und – Studer bedeckte seine Augen mit Daumen und Zeigefinger, er wollte das Bild sehen, das Bild des Toten — nun sah er es! Sicher, ganz sicher war die hintere Hosentasche, die man gewöhnlich die Revolvertasche nennt, zugeknöpft gewesen! Eine Klappe bedeckte ihren oberen Teil, die Klappe hatte ein Knopfloch, und ein dunkelschimmernder Knopf hielt die Klappe fest…
    Das war gestern gewesen, ein Viertel nach zehn. Dann hatte Studer seinen Schwiegersohn gerufen und zusammen mit dem Albert die Leiche in den Vorkeller getragen…
    Und heut morgen war die Tasche aufgeknöpft und die zwanzig Briefumschläge leer…
    Daß der Schlüssel des Vorkellers die ganze Nacht in Studers Tasche geblieben war, hatte nichts zu bedeuten. Es waren wohl noch mehr Schlüssel zu dieser Tür vorhanden. Blieb also nur die Frage offen, welchen Sinn es haben konnte, die Briefe zu entwenden und die leeren Umschläge zurückzulassen. Wäre es nicht einfacher gewesen, gleich beides an sich zu nehmen: Brief und Umschlag? Der Wachtmeister steckte das Portefeuille zurück und ließ die leeren Enveloppen in der Busentasche seines schwarzen Kittels verschwinden. Er dachte daran, daß er seinen Photographenapparat mitgebracht hatte. Das war eine Arbeit für die heutige Nacht – und auf diese Arbeit freute er sich. Aber er brauchte noch Verschiedenes: zwei Schachteln Platten, einen Kopierrahmen, Entwickler, Fixierer, Verstärker…
    Gewissenhaft verschloß Studer die Türe des Vorkellers, strich auf Socken lautlos durch die unteren Gänge des Hotels, bis er endlich eine offene Hintertüre fand. Er hockte ab, zog die Schuhe an und trat hinaus in
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