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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht
Autoren: Monika Felten
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das sie sich gern zurückerinnerte.
    Ihr Weg schien vorgezeichnet. Eines Tages würde sie heiraten und wie ihre Mutter das Leben einer Fischerfrau führen, während Kaori der alternden Maor-Say in den Tempel folgen und deren Erbe antreten würde. Alles war gut und richtig gewesen – bis zu dem Morgen vor vier Jahren, als die greise Maor-Say mit ihrem Gefolge in das Fischerdorf gekommen war und sie – Noelani – entgegen allen Erwartungen zu ihrer Nachfolgerin bestimmt hatte.
    Schweigend hatte die Alte bei der feierlichen Zeremonie mit ihrem dürren Finger auf Noelani gedeutet und sich auch durch den Dorfältesten, der ihr in höflich-eindringlichen Worten hatte zu verstehen geben wollen, dass sie die beiden jungen Frauen wohl versehentlich verwechselt habe, nicht von ihrer Entscheidung abbringen lassen.
    Heute wusste Noelani, dass die Maor-Say sie damals ganz bewusst erwählt hatte. Die Gründe dafür aber kannte sie nicht. Die alte Priesterin hatte sie mit ins Grab genommen, als ihr Geist vor einem Jahr die Reise in das Reich der Toten angetreten hatte.
    Noelani presste die Lippen fest zusammen, schob die bedrückenden Gedanken zur Seite und zwang sich, ihr Augenmerk wieder auf die Wasserschale zu richten. Ein leichter Windzug strich durch die geöffneten Fenster, und der Duft der Lilienblüten erinnerte sie daran, was zu tun war.
    Morgen würden die ersten Waitun am Südstrand der Insel an Land gehen, um dort im warmen Sand ihre Eier abzulegen. Die Ankunft der großen Schildkröten wurde seit Generationen mit einem feierlichen Fest begangen, denn es bedeutete, dass sich die Regenzeit ihrem Ende zuneigte.
    Es war die Aufgabe der Maor-Say, den richtigen Tag für das Fest zu bestimmen. Sie allein konnte die Schildkröten im Meer durch eine Geistreise ausfindig machen und so den Zeitpunkt ihrer Ankunft bestimmen. Noelani seufzte und nahm einen tiefen Atemzug. Im vergangenen Jahr hatte die alte Maor-Say sie in das Ritual eingeweiht, als sie die Ankunft der Schildkröten viele Tage im Voraus bestimmt hatte. Diesmal musste sie es allein vollziehen. Konzentriert blickte Noelani in die Wasserschale und erschuf vor ihrem geistigen Auge das Bild des Ozeans, dessen türkisblaues Wasser die Insel von allen Seiten umgab. Wie schon in den Tagen zuvor machte es ihr der Geruch der Lilien leicht, sich auf das Wasser zu besinnen, und ehe sie sich versah, war sie auch schon im Meer.
    Mondlicht flutete durch die Wasseroberfläche und ließ die Korallen des Riffs in magischem Silber erstrahlen. Dazwischen bewegten sich schläfrig ein paar Fische hin und her. Der Anblick war so friedlich, dass eine Woge aus Glück und Stolz durch Noelanis Körper flutete.
    Der Dämon hatte ihre Heimat dereinst zerstört. Für eine Weile mochte er sein Ziel erreicht haben, die Insel und alles Leben auf ihr zu vernichten – besiegt hatte er es nicht.
    Sein todbringender Atem hatte nicht alles auslöschen können. Einige wenige Menschen, Tiere und Pflanzen hatten die Katastrophe überlebt. Ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit war es zu verdanken, dass das Leben im Lauf der Jahre vielfältiger und schöner auf die Insel zurückgekehrt war. Nintau war zu einem Paradies geworden, und Noelani war glücklich, ein Teil davon zu sein. Gern wäre sie länger am Korallenriff geblieben, um sich an dem Anblick zu erfreuen, aber es waren nicht die Fische, die zu suchen sie aufgebrochen war.
    Sie suchte die Schildkröten.
    Irgendwo jenseits des Riffs, weit draußen im Ozean, hatte sie zwei Abende zuvor die ersten der großen Waitun-Schildkröten entdeckt, die sich rasch auf die Insel zubewegten. Sie mussten Nintau schon sehr nahe sein. Doch wohin Noelani auch blickte, nirgends konnte sie die Umrisse einer Waitun entdecken.
    Noelani war verunsichert, gab aber nicht auf. Entschlossen lenkte sie ihren Geist gegen die Strömung. Dies war ihr erstes Waitunfest als Maor-Say. Die Vorbereitungen hatten den ganzen Tag angedauert und waren fast abgeschlossen. Es durfte nicht sein, dass sie sich geirrt hatte.
    »Ich irre mich nicht!« Noelani spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. So schnell würde sie die Suche nicht aufgeben. Sie hatte die Schildkröten gesehen, dessen war sie gewiss. Es waren zwei gewesen und beide hatten zielstrebig auf den Strand von Nintau zugehalten. Noelani presste die Lippen fest aufeinander und setzte die Reise in die Tiefen des Ozeans fort. Längst hatte sie das Riff hinter sich gelassen und auch den Ort, an dem sie die Schildkröten zuvor
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