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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht
Autoren: Monika Felten
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»Geht und findet Frieden. Der Weg ist frei.«
    Kaum waren die Worte verklungen, glaubte Noelani eine Stimme singen zu hören, lieblich und lockend, und obwohl sie keine Erinnerung mehr an ihre Vergangenheit besaß, erkannte sie das Lied und seine Bedeutung sofort.
    Es war Nanalas Lied. Das Lied der sagenumwobenen Meeresprinzessin, die in einem Schloss in der Tiefe des Ozeans wohnen sollte und in Vollmondnächten auf dem Riff vor Nintau sehnsuchtsvolle Lieder für ihren Liebsten sang. Noelani hatte als Kind immer nach ihr gesucht. Jetzt hatte sie sie gefunden. Sie wusste nicht, was Kaori hörte oder sah, aber sie spürte in ihr dasselbe Sehnen, das auch sie empfand – das Sehnen, endlich anzukommen … Frieden zu finden … frei zu sein.
    Obwohl körperlos, glaubte sie eine Berührung zu spüren, dort, wo einst ihre Hand gewesen sein musste. Kaori ist bei mir, dachte sie, während sich ein warmes Gefühl in ihr ausbreitete. Alles wird gut. Ein letztes Mal schaute sie Kaori an. Dann schwebten sie gemeinsam in das Licht.
     
    *  *  *
    Ein prächtiger Sternenhimmel wölbte sich über der verlassenen Insel mitten im Ozean. Die wenigen verbliebenen Schwarznasenäffchen hatten sich in den Baumkronen schlafen gelegt, und nur vereinzelt war noch das kehlige Schreien eines Brüllaffen zu hören.
    In der verlassenen Tempelanlage der Maor-Say erhob sich ein gefleckter nächtlicher Jäger aus seinem Versteck und streifte auf der Suche nach Beute lautlos in den verwilderten Gärten umher. Nur wenig war noch von den Beeten und Rabatten zu erkennen, die die Menschen hier angelegt hatten. Die Natur hatte bereits weite Teile dessen zurückerobert, was ihr abgerungen worden war. Nicht mehr lange, dann würde nur noch die steinerne Tempelruine davon künden, dass auf dieser Insel einmal Menschen gelebt hatten.
    Alles war wie immer und doch nicht. Die Schwarznasenäffchen bemerkten es ebenso wenig wie die Brüllaffen; nur die gefleckte Raubkatze im Garten spürte es. Witternd blieb sie stehen, bleckte die Zähne und legte die Ohren an. Doch die Gefahr, die sie spürte, war weit entfernt, nicht mehr als eine Ahnung, die der Wind ihr zutrug. So setzte sie nach einem kurzen Innehalten ihren Streifzug fort, während sich hoch oben auf dem Plateau des steinernen Dämons etwas regte.
    Im Licht der Sterne begann sich der graue Fels zu verändern. Büsche und Gräser, deren Wurzeln in den Rissen und Spalten des Felsens Halt gefunden hatten, fielen wie dürres Laub zu Boden, das Steingrau wandelte sich in Schwarz, und langsam, unendlich langsam formten sich Gliedmaßen: Arme, Beine und ein Flügelpaar, das sich dicht an den Körper schmiegte.
    Dann kam Bewegung in den Koloss. Träge wie nach einem langen und erschöpfenden Schlaf, bewegte er Klauen und Zehen, Arme und Beine und setzte sich schließlich so ruckartig auf, dass er für endlose Augenblicke in eine Wolke aus Staub und Stein gehüllt war.
    »Frei!« Sein stimmgewaltiges Brüllen ließ den Dämonenfels erbeben und schreckte ein paar Vögel auf, die in dem nahen Dickicht geschlafen hatten und nun kreischend davonflogen. Im fernen Wald antworteten die Brüllaffen mit gereizten Schreien, und die kleinen Schwarznasenäffchen beschwerten sich schnatternd über den nächtlichen Lärm.
    »Endlich frei!« Den schwarzen Dämon, der auf dem Felsplateau aus einem viele hundert Jahre alten Schlaf erwachte, kümmerte das Zetern der Tiere nicht. Mit noch steif anmutenden Bewegungen richtete er sich zur vollen Größe auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund und ließ erneut Staub und Steine zu Boden rieseln. Als müsse er sich erst vergewissern, dass ihm seine Muskeln noch gehorchten, stampfte er erst mit dem einen und dann mit dem anderen Fuß auf. Die Erschütterungen trieben Risse durch den Boden und ließen an der Klippe eine kleine Steinlawine in die Tiefe stürzen. Doch auch das nahm der Dämon nur beiläufig zur Kenntnis.
    Er hatte die schwarzen Flügel ausgebreitet, mächtige, furchteinflößende Schwingen, wie sie nur Dämonen zu eigen waren. Erst langsam, dann immer schneller peitschten sie durch die Luft, wirbelten Staub und Blätter auf und drückten die langen Halme der Gräser wie ein Sturm zu Boden.
    »Frei! Ich bin frei!« Der Dämon konnte sein Glück kaum fassen. Einen Augenblick lang zögerte er noch, unsicher, ob er das alles vielleicht nicht doch nur träumte. Dann trat er mit wenigen Schritten an die Kante des Plateaus, stieß sich kräftig mit den Beinen ab, breitete die
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