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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht
Autoren: Monika Felten
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gewusst, dass Azenor skrupellos war, aber nicht im Traum damit gerechnet, dass er so unbarmherzig sein würde. Sie hatte ihr Volk in der Hauptstadt in Sicherheit gewähnt und geglaubt, frei handeln zu können. Aber das Blatt hatte sich überraschend gewendet, und es schien fast, als gäbe es keinen Ausweg.
    »Warte hier. Ich muss mich mit Jamak beraten«, flüsterte sie Kaori so leise zu, dass niemand anders es hören konnte, und kehrte in ihren Körper zurück, noch ehe ihre Schwester antwortete. Da sie sich nicht lange und auch nicht weit von ihrem Körper entfernt hatte, war es diesmal nur ein winziger Schritt zurück in die Wirklichkeit, fast wie ein Aufwachen aus einem kurzen Schlummer.
    »Noelani! Den Göttern sei Dank. Du bist zurück. Die Diener haben schon zweimal gefragt, ob die Nachspeisen aufgetischt werden können.« Jamak kam auf sie zu, als sie die Augen aufschlug.
    »Wenn sie wiederkommen, nimm ihnen die Speisen am Eingang ab«, sagte Noelani. »Und sag ihnen, dass die geheime Zusammenkunft noch nicht beendet ist.«
    »Wird sie denn je beendet sein?« Jamak ließ den Blick über die versteinerten Menschen schweifen.
    »Sie muss beendet werden«, sagte Noelani. »Sonst sieht es für unser Volk nicht gut aus. König Azenor erpresst mich mit dem Leben der Menschen von Nintau. Wenn ich nicht tue, was er von mir verlangt, oder wenn ihm etwas zustoßen sollte, werden alle getötet.« Sie schaute Jamak traurig an und seufzte.
    »Er will sie töten – alle?« Jamak war entsetzt. »Bei den Göttern.«
    Noelani fühlte sich so hilflos wie schon lange nicht mehr. Sie war so sicher gewesen, diesmal alles richtig zu machen, und nun wurde wieder alles nur noch schlimmer. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand sie Jamak. »Wenn ich die Männer hier am Tisch wieder zum Leben erwecke, kehrt auch das Heer der Rakschun ins Leben zurück. Für den König kommt das einem Verrat gleich, und er hat mir gedroht, unsere Leute zur Strafe zu töten. Wenn ich alle versteinert lasse, wird man im Lager schon bald feststellen, was los ist. Alle werden sofort wissen, dass ich es war, und dann werden unsere Leute getötet, weil dem König etwas zugestoßen ist.« Sie schluchzte auf. »Ach Jamak, was soll ich nur tun? Ich kann doch nicht zulassen, dass sie alle umgebracht werden.«
    »Nein, das darfst du nicht.« Jamak hob nachdenklich die Hand ans Kinn. »Können diese Geister, von denen du gesprochen hast, mich sehen?«, fragte er.
    Noelani schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht mehr hier.«
    »Was ist mit dem Prinzen?«, fragte Jamak weiter, als reife in seinem Kopf ein Plan heran. »Wie nah steht er seinem Vater? Ist er für oder gegen Verhandlungen mit den Rakschun?«
    Noelani überlegte nicht lange. »Er ist sehr zornig und hat sich von seinem Vater abgewendet, weil der König den Tod seines Bruders Marnek veranlasst hat, um das Volk von Baha-Uddin auf den Krieg einzustimmen und seine Macht zu festigen. Außerdem hat Prinz Kavan ein paar Monate bei den Rakschun gelebt und selbst gesagt, dass er gelernt hat, sie zu respektieren. Ich denke, er ist jemand, der verhandeln würde.«
    »Gut. Dann gibt es nur eines, was wir tun können …«
    »Was hast du vor?«
    Jamak blieb ihr die Erklärung schuldig. Für einen Augenblick stand er einfach nur da, dann drehte er sich um und ergriff den geschmiedeten Ständer der Wasserschale. In einer ansatzlosen Bewegung holte er damit aus und zertrümmerte mit einem einzigen, wuchtig geführten Schlag die Statue von König Azenor.
    »Jamak! Bei den Göttern, bist du von Sinnen?« Fast hätte Noelani laut geschrien. Erst im letzten Augenblick besann sie sich und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. »Was hast du getan?«
    »Das einzig Richtige.« Jamak wirkte wie befreit, als er das schmiedeeiserne Gestell fallen ließ und Noelanis Worte wiederholte. »Der König ist tot. Es lebe der neue König«, sagte er gerade so laut, dass Noelani es hören konnte. »Ich denke, der Weg für Verhandlungen ist jetzt frei.«
     
    *  *  *
    Kaori hörte ein leises brunnentiefes Seufzen, das überall war und keinen Ursprung zu haben schien. Verwundert blickte sie sich um und sah, wie die durchscheinende Gestalt des Königs sich aufzulösen begann. Er schien zu spüren, dass er sich veränderte, wusste aber nicht, wie ihm geschah, denn auf seinem Gesicht spiegelten sich in rascher Folge Überraschung, Erschrecken und Furcht. Kaori sah, wie er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch alles, was zu
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