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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht
Autoren: Monika Felten
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war ihr Lehrer, Freund und Vater zugleich, aber auch ihr engster Vertrauter. Er hatte nie daran gezweifelt, dass sie die rechtmäßige Nachfolgerin der Maor-Say war. Bestimmt würde er einen Rat wissen, wenn sich herausstellte, dass sie sich mit der Ankunft der Schildkröten getäuscht hatte. Er würde sie dafür weder schelten noch verspotten.
    Noelani seufzte. Er nicht …
    Ermattet richtete sie sich auf, ging zu ihrer Liegestatt und machte es sich dort bequem. Eine kurze Weile grübelte sie noch darüber nach, was der nächste Tag wohl bringen würde, dann fielen ihr die Augen zu. Und während der Schlaf sie auf samtenen Schwingen davontrug, hörte sie im Geiste schon die Stimmen der Spötter, die immer gewusst haben wollten, dass der Platz im Tempel allein Kaori zustand.
     
    *  *  *
    »Du musst das Schilf fester ziehen.« Kaori nahm dem Jungen die kleine Schilfmatte aus der Hand, an der er gerade arbeitete, und zeigte ihm die nötigen Handgriffe. »Siehst du, so ist es schön fest, und es kann kein Wasser eindringen.« Lächelnd gab sie ihm die Matte zurück und richtete das Wort dann an alle. »Ihr dürft nicht vergessen, dass die Flöße heute Abend die Sonnenlichter auf das Meer hinaustragen sollen. Wenn ihr sie zu locker flechtet, werden sie unter dem Gewicht der Lichter sinken. Habt ihr das verstanden?«
    Die acht Mädchen und fünf Jungen, die Kaori bei Sonnenaufgang zum Weiher gefolgt waren, nickten eifrig. Sie hatten gut achtgegeben und versuchten es Kaori gleichzutun, indem sie die Schilffasern noch straffer zogen. Kaori lobte sie und wandte sich wieder ihrem eigenen Floß zu. Während die jüngeren Kinder noch an dem ersten Floß arbeiteten und die älteren bereits mit dem zweiten begonnen hatten, hatte sie das fünfte Floß beinahe fertig. Es war eine alte Tradition, der Sonne in der Nacht des Waitunfestes mit dem ablaufenden Wasser einen Gruß hinter den Horizont zu schicken. Die vielen hundert Sonnenlichter waren ein Ausdruck der Freude darüber, dass die kühle Regenzeit endlich ein Ende hatte und die Sonne für viele Monate wieder trockene Wärme und Licht auf die Insel bringen würde.
    Kaori arbeitete sehr geschickt. Schon als Kind hatte sie es geliebt, die kleinen Flöße für die Sonnenlichter zu flechten, und nun, da sie erwachsen war, bereitete es ihr große Freude zu sehen, dass sich die Jüngsten der Insel mit ebenso großem Eifer an den Vorbereitungen für das Fest beteiligten, wie sie es damals getan hatte.
    Einige Mädchen summten bei der Arbeit ein Lied, während ringsumher der Dschungel langsam erwachte. Vögel begrüßten den beginnenden Morgen mit ihrem Gesang, Insekten schwirrten surrend umher, und hin und wieder verrieten knackende Äste, dass sich ein dürstendes Tier auf dem Weg zum Weiher befand.
    »Pssst!« Kaori legte mahnend den Finger auf die Lippen und deutete auf eine Monkasikuh, die mit ihrem Kalb vorsichtig aus dem Dickicht trat, um ihren Durst am Weiher zu löschen. Die Kinder hielten den Atem an. Monkasi waren scheu und kamen nie in die Nähe des Dorfes. Eine Kuh mit ihrem Jungen hatte noch keines der Kinder gesehen. Gebannt verfolgten sie, wie das Muttertier mit hoch aufgerichteten Ohren an das Wasser trat und die Umgebung aufmerksam mit allen Sinnen erkundete, während das Kalb neben ihr stand und von dem Wasser trank. Nach einer Weile schien die Kuh zu dem Schluss zu kommen, dass ihnen keine Gefahr drohte. Sie senkte ergeben den Kopf, um zu saufen, als hoch oben in den Baumkronen Hunderte von rotköpfigen Naras wie auf ein geheimes Kommando hin lärmend aus ihren Schlafbäumen aufstiegen und unter aufgeregtem Gekreische nach Norden davonflogen.
    Als das Kreischen in der Ferne verklang, waren die Monkasikuh und ihr Kalb verschwunden. »Schade.« Eines der Mädchen blickte zum verlassenen Weiher hinüber und zupfte sich ein paar Blätter und kleine Äste aus den Haaren, die der plötzliche Aufbruch der Naras auf die Gruppe hatte herabregnen lassen.
    »Warum sind sie fortgeflogen?«, wollte einer der Jungen wissen.
    »Ich weiß es nicht.« Kaori gab sich gelassen. »Vielleicht hat sie etwas erschreckt.«
    »Ich habe noch nie einen so großen Schwarm Naras gesehen.«
    »Du bist ja auch zum ersten Mal mit am Weiher.« Kaori lachte und fuhr dem Jungen neckend durch das lockige schwarze Haar. »Kommt, lasst uns weitermachen«, sagte sie und wandte sich wieder ihrem Floß zu. »Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.«
    Weit kamen sie nicht.
    Kaum dass alle wieder
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