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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete
Autoren: Roland Spranger
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gesehen. Grün. Und im Herbst. Bunt. Daniel hatte
erwartet, dass Doktor Hamann im Winter Blätter in die Bäume
kleben und die Rasenheizung anstellen würde. Aber im Winter
waren die Bäume einfach nur kahl gewesen und die Wiese
zugeschneit. Daniel verschloss die Wasserflasche und stellte sie auf
das kleine Tischchen zwischen den Stühlen.
    Dann
begann das Ritual. Rituale sind angeblich gut, dachte Daniel. Doktor
Hamann sah ihn freundlich an und schwieg. Ein Mann in den besten
Jahren, die ihn damit gestraft hatten, dass kein Haar mehr auf seinem
Kopf wachsen wollte. Der sauber zurechtgestutzte Vollbart konnte sich
für keine Farbe entscheiden. Überwiegend grau, mit großen
rostroten Stellen dazwischen. Obwohl Doktor Hamanns lebhafte Augen
von einer schnellen Auffassungsgabe zeugten, waren sie ruhig auf
Daniel gerichtet. Die Augen konnten genau so konsequent schweigen wie
der restliche Psychologen-Körper. Während des Rituals
wartete Hamann einfach auf Daniels erstes Wort. Nach Möglichkeit
sollte es dem Patienten gehören. Der Doktor vermied allerdings
das Wort Patient und schien auch nicht unglücklich zu
sein, wenn kein erstes Wort kam.
    Nach
einer gefühlten Viertelstunde fragte Doktor Hamann:
    »Waren
Sie im Kino?«
    »Ja.
Der Film war Schrott.«
    »Sehr
gut.«
    »Was
soll daran gut sein?«
    »Zu
Beginn der Therapie konnten Sie sich überhaupt nicht auf den
Film konzentrieren. Und wie geht es Ihnen heute?«
    »Gut.
Es regnet. Wenn es regnet, geht es mir immer gut.«
    »Vielleicht
sollten Sie sich nicht so sehr vom Wetter abhängig machen.«
    »Ich
mache mich nicht abhängig. Ich bin gerade dabei, alle
Abhängigkeiten zu bekämpfen.«
    »Können
Sie das auch anders formulieren?«
    »Ich
will unabhängig sein.«
    »Gut.
Hat das Wetter auch in Ihrer Kindheit so eine entscheidende Rolle
gespielt?«
    »Ja,
doch. Da habe ich auch schon das schlechte Wetter geliebt. Wenn es
regnete, durfte ich immer im Haus bleiben, fernsehen und musste nicht
an die frische Luft.«
    »Sie
mochten die frische Luft nicht?«
    »Nein,
obwohl sie angeblich so gesund ist.«
    »Und
jetzt?«
    »Was
jetzt?«
    »Leben
Sie an der frischen Luft. Oder schlafen Sie mittlerweile wieder im
Haus?«
    »Nein,
ich schlafe immer noch auf der Couch. Ich habe auch alles andere
rausgestellt. Das ganze Wohnzimmer.«
    »Was
haben Sie rausgestellt?«
    »Die
Stehlampe. Die Couch.«
    »Sonst
noch was?«
    »Den
Flachbildschirm.«
    »Haben
Sie Strom im Garten?«
    »Theoretisch.
So eine lange Kabeltrommel, die ich bei einem Discounter gekauft
habe. Ein Schnäppchen.«
    Doktor
Hamann sah Daniel an und wartete.
    »Ich
habe die elektrischen Geräte nicht angeschlossen.«
    »Warum
nicht?«
    »Weil
ich unabhängig sein will. Das hatten wir doch schon.«
    »Wovon
unabhängig?«
    »Keine
Ahnung. Sagen Sie es mir.«
    »Und
wenn Sie den Fernsehapparat wieder anschließen würden?«
    »Der
ist kaputt. Der Regen.«
    »Wollten
Sie den Fernseher bewusst zerstören?«
    »Nein.«
    »Könnte
es sein, dass Sie ihn unbewusst zerstören wollten?«
    »Ich
weiß nicht. Das wäre ja unbewusst gewesen.«
    »Was
glauben Sie: Wollten Sie den Fernseher zerstören?«
    »Warum
sollte ich das tun?«
    »Damit
Sie die Bilder nicht mehr sehen müssen.«
    »Ich
hab mein ganzes Leben lang Fernsehen geschaut.«
    »Bevor
Sie in Afghanistan waren.«
    »Sie
glauben, dass ich die Nachrichten nicht aushalte? Ich war mittendrin
statt nur dabei. Ich war DIE Nachrichten .«
    »Wir
Psychologen nennen das einen Trigger. Wenn Sie die Bilder sehen, ist
es jedes Mal so, als wären Sie noch in Afghanistan.«
    Daniel
nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Angeblich half Magnesium
gegen Stress, gegen Kopfschmerzen, gegen alles Mögliche.
    »Sind
Sie weiter dabei, Ihre Zeit zu strukturieren?«, fragte Doktor
Hamann.
    »Sie
sehen ja, dass ich hier bin. Dienstagsprogramm.«
    »Treffen
Sie Ihre Tochter noch regelmäßig?«
    »Jeden
Donnerstag. Da sitzt immer so eine Sozialpädagogin von der
Erziehungsberatungsstelle dabei. Ich glaube, die hält mich für
voll bekloppt.«
    »Sie
fühlen sich unwohl während der betreuten Treffen?«
    »Allerdings.«
    »Denken
Sie darüber nach: Ist es die Sozialpädagogin oder die
Situation?«
    »Wahrscheinlich
die Situation. Man steht unter Beobachtung.«
    »Ich
bin der Meinung, dass es auf jeden Fall gut für Sie ist, den
Kontakt zu Ihrer Tochter weiter aufrechtzuerhalten.«
    »Ich
habe mir überlegt … aber das ist wirklich nur so eine
Idee … Also, ich wollte Lea fragen, ob
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