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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete
Autoren: Roland Spranger
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bekräftigte
Timo noch einmal kopfschüttelnd seinen Standpunkt.
    »Ich
könnte kotzen, wenn ich bloß an Tee denke.«
    »Dann
hör auf dran zu denken, bevor dir was aus dem Gesicht fällt
und der ganze Eagle danach stinkt«, kommentierte Timo trocken,
während er seine Aufmerksamkeit einem Maultiertreiber am Wegrand
schenkte.
    »Nur
ein Maultiertreiber«, sagte Daniel.
    »Ja«,
antwortete Timo, während er im Rückspiegel sah, wie der
Einheimische samt seinem schwer bepackten Lasttier von einer
Staubwolke verschluckt wurde.
    Daniel
hatte Timo bereits während der gemeinsamen Ausbildung
kennengelernt. In der Zwischenzeit waren sie beide schon seit fünf
Monaten in Afghanistan. Jeder von ihnen zum zweiten Mal. Timo war
einer, auf den man sich verlassen konnte. Der sich auch in
Stresssituationen nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ.
Die Jungs auf dem Rücksitz waren frisch. Sven Kunz trug in der
Freizeit Fan-Shirts von Bayern München. Angeblich, weil er der
Meinung war, dass sie zur Völkerverständigung beitrugen.
Alexander Pöhlmann hatte Daniel in der vergangenen Woche vor
einem Poker-Abend erklärt, wie man das Spiel berechnet, dann
aber doch zwanzig Euro verloren. Auf den Vordersitzen waren die
Cowboys und auf der Rückbank die Greenhorns. Daniel entwickelte
väterliche Gefühle und erklärte den beiden, warum der
Militärarzt bei einem Einheimischen Tee trank.
    »Der
Afghane ist auch Arzt. Er will in seinem Dorf eine Arztpraxis
aufbauen. Das ist ein mutiger Mann. Gelegentlich bringt unser Doc
seinem Kollegen abgelaufene Medikamente und uraltes Verbandsmaterial
vorbei. Humanitärer Auftrag.«
    »Und
dafür braucht es drei Fahrzeuge mit zwölf Soldaten?«,
fragte Pöhlmann.
    Timo
drehte die Augen so weit nach oben, bis das Weiß der Augäpfel
die Oberhand gewann.
    »Die
Scheißtaliban haben was gegen den humanitären Auftrag«,
erklärte Timo genervt. »Eigentlich haben sie gegen fast
alles was. Die sind voll auf Dschihad.«
    Daniel
drehte sich zu den Greenhorns um.
    »Wisst
ihr, was der Dschihad ist?«
    »Ist
das die Hundert-Euro-Frage?«, wollte Kunz wissen.
    Pöhlmann
sagte: »Ich hab mal gelesen, dass auf die Märtyrer
zweiundsiebzig Jungfrauen im Paradies warten. Also, zweiundsiebzig
für jeden.«
    Timo
lachte. »Pass bloß auf, dass du nicht den Glauben
wechselst. Scheiß asymmetrische Kriegsführung!«
    Daniels
Finger flogen über die Tastatur des Bordcomputers. Routiniert,
aber nervös. Hoffentlich werde ich zu Hause die Nervosität
wieder los, dachte er. Niemand folgte ihnen. Sie waren das letzte
Fahrzeug der aus drei Eagle bestehenden Kolonne. Die Nachhut war ein
potenzielles Angriffsziel. Eigentlich war jedes Fahrzeug ein
potenzielles Angriffsziel. Je nach Taktik. Die einen schießen
zuerst auf die Vorhut, um die Kolonne zu stoppen. Die anderen auf den
letzten Wagen, um die Vorderleute in Panik zu versetzen und so in
einen Hinterhalt oder eine Minenfalle zu treiben. Oder man zerfetzt
mit einer Rakete das mittlere Fahrzeug, um das komplette Chaos
anzurichten. In einem Guerillakrieg ist alles irgendwie gut, solange
du der Angreifer bist.
    Daniels
Nacken schmerzte unter dem Gewicht der Schutzweste. Eigentlich war es
okay zu spüren, wie der Schutz mit dem eigenen Schweiß
verklebt, aber dazu kam noch das Gewicht der Munition und der
Batterien. Keiner macht sich eine Vorstellung davon, wie viel Strom
ein moderner Soldat verbraucht. Navigations-, Funk-, Nachtsicht- und
Wärmebildzielgeräte. Man schleppt die ganze digitale
Kriegsführung mit sich herum. Auch ohne Schutzweste erkannte man
die Veteranen daran, dass sie leicht nach vorne gebeugt durchs
Feldlager schlurften. Und vor den Duschen und im Fitnessraum nicht
drängelten. Die alten Hasen waren auch nicht genervt, wenn die
Internetverbindung sich mal wieder verabschiedet hatte, während
die Neuen gestresst waren, weil Facebook auch ohne sie weiter am
Leben war. Früher oder später würden es die Greenhorns
auch noch lernen. Im Krieg gewöhnte man sich ans Warten. Zuerst
war der Krieg eine Friedensmission, aber auch für eine
Friedensmission brauchst du zuallererst Geduld. Damals gab es weniger
Anschläge und Beschuss durch Raketen, aber mehr Minen. Zehn
Millionen hatten allein die Sowjets liegen lassen, als sie den
Kommunismus am Hindukusch verteidigten. Bösartige Artefakte des
real existierenden Sozialismus. Verwittert, aber tödlich. Wenn
man erst mal checkt, dass man jeden Tag sterben kann, ist Warten noch
nicht mal die schlechteste
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