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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete
Autoren: Roland Spranger
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Polizeikommissar Weber an. Er sah immer
noch so aus, als könne er ihn nicht leiden. Was er sagte, passte
aber nicht dazu: »Bleiben Sie ruhig. Der Notarzt kommt sofort,
sobald das Gelände gesichert ist.«
    Weber
machte irgendwas mit seinem Bein. Daniel sah nach unten. Weber
bedeckte die Stichwunde mit beiden Händen.
    »Danke«,
sagte Daniel.
    »Sie
würden das Gleiche für mich tun«, antwortete Weber.
    Daniel
nickte.
    »Ja,
würde ich. Hat er die Hauptschlagader erwischt?«
    »Keine
Ahnung. Es blutet. Ich halte besser die Hand drauf.«
    Das
Gesicht von Polizeihauptkommissarin Feller erschien über ihm.
Sie schminkte ihre Augen tatsächlich mit Kajal. Das war ihm
vorher nicht aufgefallen. Sie war hübsch.
    »Ihre
Tochter ist in Sicherheit«, sagte sie.
    »Und
Maik?«
    »Auch.«
    »Gut.
Haben Sie das Ohr?«
    Weber
drehte sich um.
    »Kann
mal einer das Ohr aufheben?«
    Hauptkommissarin
Feller berührte Daniels Schulter. Vermutlich, um ihn zu
beruhigen. Tatsächlich beruhigte es ihn.
    »Die
Mail an Ihre Frau war eine gute Idee. Wir haben den Notruf erwartet«,
sagte Feller. »Es war leicht, das Mobiltelefon zu orten.«
    »Daran,
dass man von einem Pre-Paid-Handy einen Notruf auch ohne Guthaben
absetzen kann, hat das Dreckschwein nicht gedacht«, keuchte
Daniel.
    »Es
war sogar noch Zeit, das Sondereinsatzkommando anzufordern.«
    »Ein
guter Schuss.«
    »Der
Kollege bekommt psychologische Unterstützung. Niemand tötet
gerne jemanden.«
    »Fast
keiner.«
    Über
Daniel erschienen noch zwei Darth Vaders in ihren Anzügen. Dann
wurde es dunkel um ihn neben ihm vor ihm in ihm und er glitt in ein
Reich, dessen Tor vor ihm aufflackerte wie Schmetterlingsflügel,
bevor das Licht ganz ausgeknipst wurde.

Epilog

    Schöne
Umgebung. Selbst für einen Toten. Pappeln an der Friedhofsmauer.
Der Himmel sah trotz der Mauer weit aus. Daniel starrte den Grabstein
minutenlang an. Ein schöner heller Naturstein. Jetzt hatte er
Gewissheit, auch wenn er sich immer noch nicht vorstellen konnte,
dass Timos Überreste unter einem frisch gepflanzten
Stiefmütterchen-Patchworkteppich liegen sollten. Statt Timos
Namen hätte auch sein eigener auf dem Grabstein stehen können.
Und sein Geburtsdatum. Seinen Sterbetag kannte er nicht, da hatte ihm
Timo was voraus. Einen Moment lang fürchtete Daniel, den Halt zu
verlieren. Auf die Knie zu sinken. Aber Lea und Melanie hatten sich
bei ihm eingehakt und stützten ihn. Sein verletztes Bein war
noch nicht voll belastbar. Seine Seele auch nicht. Die Tochter hielt
ihn. Und die Frau. Die Noch-Frau. Noch waren sie nicht geschieden.
    »Okay,
lasst uns gehen«, sagte Daniel.
    »Bist
du so weit?«, fragte Melanie.
    »Ja.
Timo ist tot. Da kann man nichts mehr machen. Manche brauchen eben
länger, bis schlechte Nachrichten zu ihnen durchgedrungen sind.«
    An
der Friedhofspforte drehte sich Daniel kurz um. Nur um sicherzugehen,
dass ihnen niemand folgte.
    Im
Corsa fuhren sie zu einem nahen Vergnügungspark. Dort wollten
sie den restlichen Tag verbringen. Zuckerwatte. Riesenrad.
Achterbahn. Wasserrutschbahn. Clowns. Was man mit traumatisierten
Menschen so macht. Daniel war nicht mehr allein traumatisiert. Er
beugte sich vom Beifahrersitz nach hinten und nahm Leas Hand. Während
sie ihn anlächelte, zog sie behutsam ihre Hand aus seiner.
    Morgen
würden sie Maik besuchen, dessen abgetrennte Ohrmuschel an der
Plastisch- und Handchirurgischen Klinik der Universität Erlangen
rekonstruiert wurde. 
    Daniel
hatte sich bereits ein paar coole Sätze für die
Mach-Maik-Mut-Offensive zurechtgelegt:
    »Wenn
du dein neues Ohr hast, hören wir bei dir zu Hause Pearl Jam und trinken Bier. Wir setzen uns vor deinen Kühlschrank und
spielen Scrabble mit den bunten Magnetbuchstaben.«
    Irgendwas
in der Richtung würde Daniel sagen. Vermutlich würde Maik
einen Verband über dem Ohr tragen. Mit einem richtigen Ohr hatte
es derzeit noch nicht besonders viel Ähnlichkeit. Ein
unvollständiges Knochen- und Gewebepuzzle, das erst noch ein Ohr
werden wollte. Zwei weitere Operationen waren notwendig. Vielleicht
drei. Bei der Rekonstruktion wurde ein Ohrgerüst aus
körpereigenem Gewebe geformt. Dazu entnahmen die Ärzte
Knochen und Knorpel aus Maiks Rippe. Über das Gerüst wurde
Haut gelegt. Auch die Haut war körpereigen – sie stammte
aus Maiks Lendengegend.
    »In
der Regel werden nicht mehr als acht Quadratzentimeter Haut
benötigt«, hatte Maik am Telefon gesagt. Den Telefonhörer
an seinem gesunden Ohr. Daniel hoffte wirklich
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