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Tanz im Dunkel

Tanz im Dunkel

Titel: Tanz im Dunkel
Autoren: Charlaine Harris
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1. KAPITEL
    Rue blieb kurz stehen, um sich zu sammeln, bevor sie die Tür aufstieß, auf der sowohl “Blue Moon Entertainment” als auch “Black-Moon Productions” zu lesen war. Sie hatte alles so eingerichtet, dass sie pünktlich auf die Minute zu ihrem Termin erscheinen würde. Eine Mischung aus Nervosität und Verzweiflung legte sich wie ein Schraubstock um sie: Sie musste diesen Job kriegen, selbst wenn die Bedingungen widerlich waren. Mit dem Geld würde sie in der Lage sein, ihr Studium fortzusetzen, und außerdem hätte sie Arbeitszeiten, die sich gut mit ihren Vorlesungen vereinbaren ließen. Na dann, Kopf hoch, Brust raus und immer schön lächeln, sprach Rue sich mit den gleichen Worten Mut zu, die sie tausend Mal von ihrer Mutter gehört hatte. Drinnen warteten zwei Männer auf sie – zwei Vampire, korrigierte sie sich –, einer davon rothaarig, und eine Frau, eine normale menschliche Frau. In der Ecke stand außerdem ein Mädchen mit kurzem, blondem Haar an der Ballettstange und machte Dehnungsübungen. Das Mädchen mochte ungefähr achtzehn sein, drei Jahre jünger als Rue. Die ältere Frau hatte ein streng wirkendes Gesicht, war teuer gekleidet und ungefähr vierzig. Ihr Hosenanzug hatte mehr als drei von Rues Outfits gekostet, zumindest jenen Outfits, die sie jeden Tag für die Uni anzog. Für Rue stellten diese Klamotten eine Art Verkleidung dar: alte Jeans und weite Hemden, die sie im Secondhand-Laden kaufte, Tennisschuhe oder Wanderstiefel und eine große Brille mit sehr geringer Dioptrienzahl. In einem dieser “Ensembles” steckte Rue auch jetzt, und sie sah es dem Gesichtsausdruck der Frau an, dass ihr Äußeres eine wenig erfreuliche Überraschung darstellte.
    “Sie müssen Rue sein”, stellte die Frau fest.
    Rue nickte und reichte ihr die Hand. “Rue May. Freut mich, Sie kennenzulernen.” Zwei Lügen hintereinander. Das Schwindeln begann langsam, zur Gewohnheit zu werden – beziehungsweise (und das erschreckte sie am meisten) ihr in Fleisch und Blut überzugehen.
    “Ich bin Sylvia Dayton. Mir gehören ‘Blue Moon Entertainment’ und ‘Black-Moon Productions’.” Sie schüttelte Rue die Hand. Ihr Händedruck war kräftig und energisch.
    “Danke, dass sie mich vortanzen lassen.” Rue verdrängte ihre Nervosität so weit wie nur irgend möglich und lächelte selbstbewusst. Sie hatte es schon unzählige Male über sich ergehen lassen, von fremden Leuten beurteilt zu werden. “Wo kann ich mich umziehen?” Sie ließ ihren Blick über die Vampire – ihre potenziellen Tanzpartner, wie sie annahm – schweifen. Wenigstens waren beide größer als sie selbst mit ihren 1 Meter 77. Während ihrer eiligen Recherchen für den Job hatte sie gelesen, dass Vampire es nicht mochten, jemandem die Hand zu geben, also verzichtete sie darauf. Bestimmt war es unhöflich, die beiden so zu ignorieren, oder? Doch Sylvia hatte sie ihr nicht vorgestellt.
    “Da drüben.” An einer Wand des Raums befanden sich Nischen mit Falttüren, die ganz ähnlich aussahen wie Umkleidekabinen in einem Geschäft. Rue marschierte in eine der Kabinen. Es war leicht, aus ihren weiten Klamotten und den abgewetzten Schnürstiefeln zu schlüpfen, und ein richtiges Vergnügen, anschließend schwarze Strumpfhosen, ein pflaumenfarbenes Trikot und einen weiten Wickelrock anzuziehen, der beim Tanzen flattern und so wirken würde, als hätte sie ein Kleid an. Sie setzte sich auf einen Hocker, um sich die Tanzschuhe mit den Riemchen anzuziehen, zu denen man in der Branche “Charakterschuhe” sagte, dann stand sie auf, um ihrem Spiegelbild probeweise zuzulächeln.
Kopf hoch, Brust heraus und immer schön lächeln
, sagte Rue sich wieder vor. Sie nahm die Spange aus ihrem Haar und bürstete es, bis es ihr wie ein schwerer Vorhang über die Schultern fiel. Ihr Haar war einer der wirklichen Pluspunkte ihres Aussehens. Das dunkle, satte Braun mit dem leicht goldenen Schimmer hatte beinahe die gleiche Farbe wie ihre tief liegenden, ausdrucksstarken Augen.
    Da Rue ihre Brille nur brauchte, wenn sie an der Uni etwas auf der Tafel lesen musste, legte sie sie in das Etui und steckte es in ihren Rucksack. Sie trat dicht an den Spiegel, um ihr Make-up zu inspizieren. Nach all den Jahren, in denen sie früher mit der Selbstsicherheit eines schönen Mädchens in den Spiegel geblickt hatte, betrachtete sie ihr Gesicht nun mit der Skepsis einer Frau, die verprügelt worden war. In der Kanzlei ihres Anwalts gab es einen Ordner mit Fotos –
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