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Tanz im Dunkel

Tanz im Dunkel

Titel: Tanz im Dunkel
Autoren: Charlaine Harris
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dir”, sagte Sean. Er klang so gelassen und gleichgültig wie zu Beginn des Tanztrainings.
    Nachdem sie einen Blick in das Zimmer neben Sylvias Büro geworfen hatte, wo die Kostüme ordentlich auf rollenden Kleiderstangen hingen, ging Rue auf die Damentoilette. Als sie sich die Hände wusch, kam Julie herein. Die junge blonde Frau sah außergewöhnlich fröhlich aus. Ihre Wangen waren gerötet, und sie lächelte breit.
    “Ich muss dir etwas gestehen”, sagte Julie. “Ich bin wirklich froh, dass du dich für Sean entschieden hast. Eigentlich war ich schon immer der Meinung, dass Thompson ein ziemlich heißer Typ und Sean eiskalt ist.”
    “Wie lange tanzt du schon für Sylvia?”, erkundigte sich Rue. Sie wollte es vermeiden, über ihre jeweiligen Tanzpartner zu reden.
    “Oh, ein Jahr. Ich habe auch noch einen Ganztagsjob als Sekretärin bei einer Versicherung, aber du weißt ja, wie schwer es ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nach Rhodes bin ich gezogen, weil ich dachte, eine Stadt in der Mitte der Vereinigten Staaten wäre billiger als an der West- oder Ostküste, aber es ist überall schwer, es als Frau allein zu schaffen.”
    Dem konnte Rue nur aus ganzem Herzen zustimmen. “Schwer zu verstehen, warum die Vampire diesen Job machen”, sagte sie.
    “Sie müssen auch von etwas leben. Ich meine, die meisten von ihnen wollen eine nette Wohnung, saubere Kleider und so weiter.”
    “Ich fürchte, ich habe immer in dem Glauben gelebt, alle Vampire wären reich.”
    “Davon wüsste ich nichts. Außerdem ist Thompson erst seit zwanzig Jahren ein Vampir.”
    “Wow”, sagte Rue. Sie hatte keine Ahnung, was das für einen Unterschied machte, doch Julie war offensichtlich der Meinung, ihr damit etwas Bedeutsames mitgeteilt zu haben.
    “Er befindet sich in der Hierarchie ziemlich weit unten”, fuhr Julie fort. “Ungewöhnlich ist es allerdings, dass ein Vampir als Tänzer auftritt, der schon so alt ist wie Sean. Die meisten Vampire in seinem Alter halten es für unter ihrer Würde, für Menschen zu arbeiten.” Es wirkte so, als würde sie ein ganz klein wenig auf Sean herabsehen.
    “Ich wünsche euch beiden ein schönes Training, Julie”, sagte Rue. “Wir sehen uns.”
    “Klar”, antwortete Julie. “Dir noch eine schöne Woche.”
    Rue hatte das Gespräch eigentlich nicht so abrupt beenden wollen. Doch ihr tat Sean ein bisschen leid. Wie sie selbst auch, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit dem, was er am besten konnte, und er schämte sich nicht dafür. Sie konnte diesbezüglich noch einiges von ihm lernen.
    Dieses Mitleid mit ihm verschwand am nächsten Abend, als Rue bemerkte, dass Sean ihr nach Hause folgte. Als sie aus dem Bus ausstieg, erhaschte sie einen kurzen Blick auf ihn, als er gerade den Häuserblock zu ihrer Wohnung entlangging. Sie rannte die Stufen so schnell sie konnte hinauf und versuchte, sich beim Aufsperren und Betreten ihres winzigen Apartments ganz normal zu verhalten. Nachdem sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, klopfte ihr das Herz bis zum Hals, und sie fragte sich, worauf sie sich da eigentlich eingelassen hatte. Höchst vorsichtig und ohne das Licht einzuschalten schlich sie zum Fenster. Mit Sicherheit würde er da draußen stehen und zu ihr hinaufschauen. Sie kannte das. Sie kannte es nur zu gut.
    Er war nicht da. Im Dunkeln fütterte sie ihre Katze, wobei sie die Dosen und das Futter vage im Straßenlicht erkennen konnte, das zum Fenster hereinfiel. Dann schaute sie wieder hinaus.
    Sean war nicht da.
    Rue setzte sich auf den einzigen Sessel, den sie besaß, um nachzudenken. Ihr Herz hörte auf, wie wild zu klopfen; ihr Atem wurde ruhiger. War es möglich, dass sie sich geirrt hatte? Wäre sie eine Frau gewesen, die diesbezüglich weniger Erfahrung hatte, hätte sie sich selbst vielleicht davon überzeugen können, dass es so war. Doch Rue hatte schon seit Langem beschlossen, ihrem Instinkt nicht zu misstrauen. Sie
hatte
Sean gesehen. Möglicherweise wollte er bloß mehr über seine Partnerin erfahren. Doch sobald sie in der Wohnung gewesen war, hatte er sie nicht mehr beobachtet.
    Vielleicht war er ihr nachgegangen, um sich zu vergewissern, dass sie gut nach Hause kam – nicht, um ihr nachzuspionieren.
    Am nächsten Morgen fiel es Rue ziemlich schwer, sich auf ihre Vorlesung über die Britischen Inseln zu konzentrieren. Sie war immer noch sauer. Sollte sie ihn zur Rede stellen? Oder nichts sagen? Für die Vorlesung hatte sie, wie gewöhnlich, ihr Haar
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