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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete
Autoren: Roland Spranger
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Pöhlmanns zerfetztem Bein nach einer Hauptschlagader,
die er zudrücken konnte. Zunächst fand er keine. Bis er
sich zwang hinzuschauen. Er quetschte das Gefäß mit Daumen
und Zeigefinger zusammen.
    So
fühlen sich Sicherheits- und Aufbaumissionen an, dachte Daniel.
    Timo
war hinter der Panzerung des Eagle in Deckung gegangen. Auf der
Beifahrertür leuchtete das grüne ISAF-Logo mit der
Aufschrift Hilfe & Kooperation in paschtunischen
Schriftzeichen.
    »Ich
werde nicht in Afghanistan sterben!«, brüllte Timo.
    »Ich
auch nicht«, flüsterte Daniel. Mit aller Gewalt drückte
er Pöhlmanns Hauptschlagader zusammen, aber immer noch strömte
Blut über seine Hand. Einschüsse links und rechts von ihm.
Gesteinsbrocken trafen ihn an der Schulter und am Kinn. Pöhlmann
hatte die Augen weit aufgerissen. Daniel versuchte, Pöhlmanns
Blick zu erwidern, bis er es einfach nicht mehr aushielt.

Hof,
Regierungsbezirk Oberfranken (Deutschland), ein Jahr später

Dienstag

    Daniel
saß entspannt im Regenmantel auf der Ledercouch. Jedenfalls so
entspannt, wie er konnte. Wie immer bereitete es Mühe, locker zu
sein. Und nicht abgesichert. Die Arme auf der Rückenlehne
ausgebreitet. Der warme Frühlingsregen klopfte auf seine
geschlossenen Augenlider. Seit Afghanistan wusste Daniel Regen zu
schätzen. Und alle anderen unbeständigen Wetterlagen in
gemäßigten Klimazonen. Dass sich das launische Aprilwetter
dieses Jahr bis weit in den Mai hielt, gefiel ihm. Daniel fuhr mit
den Fingerspitzen über das Leder. Die Feuchtigkeit fühlte
sich gut an. Organisch. Als gäbe es keinen Staub, der sich
zwischen ihn und die Couch schieben könnte. Staub war woanders.
    Das
Quietschen des Gartentors. Es müsste längst einmal geölt
werden. Daniel erkannte am Rhythmus der Schritte den Besucher. Er
hätte die Augen geschlossen halten können, aber er öffnete
sie. Sicherheitshalber. Einen Mangel an Sicherheit konnte er nicht
akzeptieren. Er sah Maik auf dem Trampelpfad durch die kniehohen
Brennnesseln kommen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben.
Und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Wasser tropfte von den
Haarspitzen, die unter der Kapuze hervorlugten. Ihm schien der Regen
nicht halb so viel Spaß zu machen wie Daniel. Beide nickten
sich kurz zu, dann setzte sich Maik wortlos neben seinen Freund auf
die Ledercouch. Eine Zeit lang schwiegen beide und starrten den
großen, leblosen Plasma-Fernseher an, der vor ihnen im Gras
stand.
    »Glaub
mir«, sagte Maik schließlich, »das Programm wäre
auch mit einem funktionstüchtigen Fernsehapparat nicht besser.
Ständig wird irgendein Superstar, ein Topmodell oder eine andere
Dumpfbacke gesucht. Zombies, die sich von ein paar Arschlöchern
vorschreiben lassen, wie ihr Leben auszuschauen hat.«
    »Ich
glaube, Leben kann man bei Zombies nicht sagen. Die sind doch
schon tot. Untot.«
    Maik
dachte kurz nach.
    »Vielleicht
würde dir das sogar Spaß machen.«
    »Was?
Untot sein?«
    Bin
ich doch, dachte Daniel.
    »Fernsehen«,
antwortete Maik. »Immerhin hast du als Zuschauer die Macht, die
ganzen Casting-Monster sofort wieder zurück in den Hades des
Vergessens zu treiben, wenn du eine SMS schickst.«
    »Und
was sollte mir daran Spaß machen?«
    »Das
Vergessen.«
    Maik
starrte weiter auf den Flachbildschirm, während Daniel seinen
Blick wandern ließ. Antrainierte Routine. Immer aufmerksam
bleiben. Der Garten war verwildert. Sah ein bisschen so aus, als
würde Dornröschen schon ein paar Jahre in einem
Einfamilienhaus mit Zinkdach und Solaranlage schlafen. Am Anfang
hatten sich ein paar Nachbarn beschwert wegen des Unkrauts, das
andere Grundstücke infiltrierte. Seit alle wussten, dass Daniel
Deutschland am Hindukusch verteidigt hatte, verhielten sie sich
ruhig. Vielleicht aus Respekt. Oder weil sie Angst hatten. Immerhin
war Daniel kampferprobt. Und gut ausgebildet. Oder weil sich die
Nachbarn eingestanden hatten, dass ein paar Opfer erbracht werden
müssen, wenn die Demokratie verteidigt wird. Das Zusammenleben
mit Unkraut beispielsweise.
    »Die
Couch hält unserem Klima erstaunlich gut stand«, sagte
Maik.
    »Ich
weiß nicht, was du gegen unser Klima hast.«
    »Nichts.
Es ist halt da.«
    »Das
ist Leder. Leder braucht Feuchtigkeit.«
    »Kommt
vielleicht auf die Menge an. Kann Leder schimmeln?«
    »Keine
Ahnung. Warten wir’s ab.«
    »Also,
die Schaumstofffüllung schimmelt bestimmt früher oder
später.«
    Maik
versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, aber das Feuerzeug
kapitulierte vor dem
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