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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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die hoffnungsfroh oder zähneknirschend an die Unveränderlichkeit der Zustände in Ägypten glaubten, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Besonders nachdem Tunesiens Präsident Ben Ali das Land fluchtartig verlassen musste, spürten viele Ägypter einen Hauch von Hoffnung, aber doch auch eine kleine Kränkung, denn die stolzen Ägypter waren ein wenig verstimmt, dass die Veränderung im kleinen Tunesien und nicht im bevölkerungsreichsten arabischen Land, in Ägypten, losging. Immerhin waren die wichtigsten Entscheidungen der arabischen Geschichte in den letzten Jahrzehnten immer in Kairo getroffen worden. Die Araber nannten Ägypten nicht nur »die große Schwester«, sondern »die Mutter der Welt«. Einige bezeichnen das Land am Nil seit geraumer Zeit allerdings als »die Großmutter der Welt«, da es zunehmend an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung in der Region verlor und reichen Ölstaaten wie Saudi-Arabien oder sogar kleinen Emiraten wie Katar hatte weichen müssen.
    »Die Tunesier sind nicht besser als wir«, schrieben einige auf den unterschiedlichsten Internetplattformen. Und auch die Khalid-Said-Seite wurde plötzlich extrem politisiert. Auf einmal war die Rede nicht mehr von einer Demonstration, sondern von einer Revolution. Ein Poster wurde entworfen, und auf vielen Seiten wurden Ideen gesammelt. Noch politischer war immer die Seite der Gruppe 6. April, die schon 2008 zum ersten Generalstreik in Ägypten aufgerufen hatte. Dort übernahm der Administrator den Aufruf zur Rebellion. In den Foren wurde heftig über den Ablauf und die Ziele der Proteste diskutiert, man dachte an einen Anti-Polizei-Marsch am Tag der Polizei, dem 25. Januar. Einige schlugen den 28. Januar vor, da an einem arbeitsfreien Freitag mehr Demonstranten zu mobilisieren seien. Bald einigte man sich, am 25. Januar gegen die Polizei zu demonstrieren und den Feiertag drei Tage später zu einem »Freitag des Zorns« zu ernennen. Noch war vom Sturz des Diktators keine Rede. Brot, Freiheit und Menschenwürde wurden als zentrale Forderungen formuliert. Ich konnte trotzdem das Gefühl nicht loswerden, dass es sich hier um ein paar Jugendliche handelt, die im Netz Revolution spielen. Trotzdem war erkennbar, dass das Regime nervös wurde. Am 15. Januar stand in der Regierungszeitung »Akhbar Al-Youm« diese Schlagzeile: »Präsident Ben Ali verlässt Tunesien. Ziel unbekannt«. Und darunter, wesentlich größer: »Ägypten steigt auf. Internationale Experten bestätigen: Mubarak erzielte für die Ägypter die höchste Wachstumsrate.« Mehrere ägyptische Politiker betonten aufgeregt, dass weder Ägypten mit Tunesien noch Ben Ali mit Mubarak zu vergleichen seien. Eine Armee von regierungsfreundlichen Internetaktivisten überflutete die Seiten, die zur Revolution aufriefen, mit demotivierenden Kommentaren wie »Träumt weiter«, »Nichts könnt ihr erreichen«. Andere warnten vor schweren Unruhen, Krawallen und Zerstörungen.

    Ich hatte ohnehin beabsichtigt, im Februar nach Ägypten zu reisen, weil ich für ein neues Buch recherchierte. Doch als ich von der geplanten Revolution hörte, wollte ich dabei sein – obwohl ich es nach wie vor für einen Scherz hielt. Ein Scherz auch deswegen, weil man nicht nur den Tag, sondern auch die Uhrzeit des Revolutionsbeginns festgelegt hatte. Am 25. Januar sollte es um Punkt 14 Uhr losgehen. Für einen Scherz hielt ich es also nicht nur, weil die Ägypter nicht gerade für ihre Pünktlichkeit bekannt sind, sondern auch, weil man eine Revolution nicht im Voraus ankündigt, und in einem Polizeistaat schon gar nicht. Dachte ich zumindest. Aber was wusste ich schon von Revolutionen? Denn sollte etwas in Ägypten noch effizient funktionieren, so waren es die Sicherheitsapparate. Für den 25. Januar konnte ich allerdings keinen direkten Flug bekommen. Ich flog deshalb über Istanbul nach Kairo und traf am Mittag des 27. Januar ein.
    Nun lande ich also in Kairo mit meinem deutschen Pass. Als gebürtiger Ägypter brauche ich kein Visum. Ich bin hier geboren und groß geworden. Ein Beamter nimmt mich am Flughafen unter die Lupe. »Sind Sie Schriftsteller?« Er weiß Bescheid. Was ich in Ägypten wolle, fragt er. Diesmal scheint das Regime besonders misstrauisch zu sein. Seit zwei Tagen wird bereits gegen das Regime protestiert, doch die Demonstranten werden schon am ersten Tag mit Tränengas und Wasserwerfern vom Tahrir-Platz vertrieben. Seitdem gab es nur sporadische Proteste. Auf den Straßen nehme ich
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