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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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einen Weg in die Mitte der Gesellschaft, damit sie dort als gleichberechtigte Bürgerinnen ein selbstbestimmtes Leben führen können?
    Wenn sich Europa nicht als zu alt und unflexibel und die arabische Welt nicht als zu stur und dogmatisch erweisen, dann darf man hoffen!

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    Meine arabische Revolution
    E s ist Freitag, der 28. Januar. Bis 13:30 Uhr war es ein Freitag wie jeder andere in Kairo. Was danach kam, ist Geschichte. 300 Meter trennen uns vom Tahrir-Platz. Die längsten 300 Meter der Welt. Unzählige Demonstranten sind um mich. Wir rufen: »Das Volk will das Regime stürzen«, und drängen in Richtung des Platzes der Befreiung, des Tahrir-Platzes im Herzen der Stadt. Vor uns eine Phalanx von Sicherheitssoldaten, die schwarz gekleidet sind. Ausgerüstet mit Helmen, Gasmasken, Schlagstöcken und Schusswaffen versuchen sie, uns zurückzudrängen. Ununterbrochen feuern sie Tränengasgranaten und Gummigeschosse auf uns ab. Schlägerbanden in Zivil lauern uns in den Nebenstraßen des Tahrir-Platzes auf.
    Was mache ich hier? Ich bin kein Straßenkämpfer.
    Was ist meine Funktion? Ich weiß es nicht.
    Meine Rolle ist vermutlich die gleiche Rolle wie die der meisten anderen Demonstranten. Wie diese unzähligen, meist jungen ägyptischen Frauen und Männer bin ich vor allem gekommen, um die Zahl der Demonstranten um eine Person zu vergrößern. Mehr nicht. Wir wollen mehr werden. Eine wachsende Menge. Eine kritische Masse. Wie alle anderen habe ich ein einziges Ziel: Freiheit für mein Land.
    Der Rauch liegt schwer in der Luft, Schüsse peitschen, die Schreie der Verletzten gellen, aber immer wieder übertönt der gemeinsame Schrei nach dem Sturz des Regimes alles andere. Uns treibt die Hoffnung weiter, dass heute ein entscheidender Tag in der Geschichte Ägyptens sein wird.

    Als ich die Flugtickets von Berlin nach Kairo buchte, wusste ich nicht, dass ich Teil einer Revolution sein werde. Ich hielt die ganze Geschichte für einen Witz. Das erste Mal las ich auf Facebook von der geplanten Revolution. Ich kam in der zweiten Januarwoche von einer Reise zurück und sah, dass viele meiner ägyptischen Freunde ihre Facebook-Profilbilder geändert hatten. Dort sah man nun eine tunesische Flagge, auf der stand: »Die Antwort lautet Tunesien.« Ich hielt es anfangs für ein neues Spiel, doch einige Freunde, ernsthafte Intellektuelle, hatten den gleichen Status. Ich wechselte zu der Seite von »We are Khalid Said«, wo ich seit mehreren Monaten Mitglied bin. Die Seite wurde gegründet, um gegen die Ermordung des jungen Bloggers Khalid Said durch zwei Polizisten in Alexandria im Sommer 2010 zu protestieren. Obwohl die Gründer dieser Seite anonym blieben, hatte sie bereits nach wenigen Wochen mehrere hunderttausend Anhänger. Der geheimnisvolle Administrator der Seite prangerte die Gewalt der Polizei in Ägypten an und rief zu friedlichen Demonstrationen gegen das Innenministerium auf. Nachdem mein letztes Buch, »Der Untergang der islamischen Welt«, im Oktober 2010 in Ägypten erschienen war, empfahl mir ein Freund, dem meine Thesen zu düster schienen, die Seite von Khalid Said zu besichtigen, und sagte: »Glaub mir, in Ägypten bewegt sich was!« Ich war schon seit dem Sommer Mitglied dieser Seite, besuchte sie aber nicht regelmäßig. Ehrlich gesagt hielt ich nicht viel von ihr, obwohl ich bereits in meinem letzten Buch über Facebook geschrieben hatte, diese Internetplattform sei der größte Häretiker und der größte Demokrat der islamischen Welt, weil sie das Wissensmonopol des Staates gebrochen und die Informationen für alle zugänglich gemacht hatte. Schon wenige Monate nach der Gründung des Online-Netzwerkes hatte Ägypten die meisten Nutzer nach den USA . Vor allem nach der Einführung der arabischen Version von Facebook 2009 stieg die Zahl der ägyptischen Nutzer rapide an.
    Überall in den islamischen Staaten sind viele junge Menschen internetsüchtig. Sie chatten über Religion und Politik, schauen Pornos, hören sich die Musik von Beyoncé, aber auch die Botschaften von Osama Bin Laden an. Ich hatte im »Untergang der islamischen Welt« von Bloggern und Internetaktivisten berichtet, die die Macht des Regimes in Frage stellten und seine kriminellen Methoden ans Licht brachten. Aber die Seite von Khalid Said erschien mir als zu pubertär. Gelegentlich verfolgte ich die Diskussionen, doch mir schien, dass sowohl der Administrator als auch die meisten Diskutanten eher naiv seien und kaum politisches
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