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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
Autoren: Jess Jochimsen
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humorvolleren Ort, den Nationalpark »Hainich«, inklusive Baumkronenpfad, Fußballplatz und Thüringer Würstchen.
    Dort lernten wir, dass dieser Park früher einmal Manövergelände der Nationalen Volksarmee war, zum Glück, denn in den tiefen Furchen, die die Panzer einst durch den feuchten Waldboden gezogen haben, konnte eine vom Aussterben bedrohte Gelbbauchunkenart wieder heimisch werden. Leider nehme die Unkenpopulation derzeit rapide ab, erzählte uns der Parkwächter, weil die Furchen mehr und mehr zuwüchsen. Die Grünen hätten deswegen im zuständigen Stadtrat den Kauf eines alten NVA-Panzers beantragt, auf dass er ein paar Mal durch den Buchenwald brettere. Die Viecher werden es ihnen danken. (Nicht auszudenken, wenn die »unblutige Revolution« doch späte Opfer zu beklagen hätte.) Noch gibt es allerdings diese Krötentiere, Tom fing nämlich eines der raren Exemplare, und nur mit Mühe konnte ich ihn davon abhalten, es zu »Lernzwecken« aufzuschneiden.
    Resümierend lässt sich sagen, dass wir einen prima Urlaub hatten und so einiges gelernt haben in der »starken Mitte Deutschlands«, wie sich der Freistaatbis vor Kurzem selber pries. Der aktuelle Slogan Thüringens lautet: »Hier hat Zukunft Tradition!« Na dann.
    Irgendwie passt dieser schwersinnige Satz auch zu Toms Lehrplan.

Nur falsche Kleidung
    In der Schule, auf die mein Sohn Tom nicht gern, aber doch regelmäßig geht, gibt es in der Eingangshalle zwei riesengroße sogenannte »Schlamperkisten«.
    In die eine – immer gut gefüllte – schmeißt der Hausmeister all die Jacken, Mützen, Pullis, Federmäppchen und Brotzeitdosen, die die Kinder irgendwo
     vergessen oder liegengelassen haben. Jeden Nachmittag bildet sich dort eine wilde und wütende Menschentraube, bestehend aus entnervten Eltern, welche
     unter Gebrüll und Geschubse nach den verlustig gegangenen Dingen ihrer Zöglinge wühlen.
    Ich gehöre nicht zu diesen Eltern, denn in der anderen Kiste (die noch voller ist als die erste) stapeln sich ausschließlich Sachen von Tom, was die Suche vereinfacht.
    Mein Sohn ist der König der Schlamper, und weil Königen von jeher eine gewisse Ehre zuteilwird, hat er seine eigene Kiste. Das macht mir zwar das Findenleichter, ist aber natürlich trotzdem ein steter Quell der Enervierung und Peinlichkeit. Die anderen Eltern werfen mir hasserfüllte Blicke zu, weil sie für ihre Kinder auch eine eigene Kiste wollen, aber dazu müssten diese so viel Zeug verlieren wie Tom und das ist nicht zu schaffen.
    Das Schlimme daran: Tom ist an sich weder vergesslich noch unordentlich, er »verlegt« seine Sachen aus purer Absicht. Mittlerweile bin ich sogar überzeugt, dass er bestimmte Dinge gar nicht irgendwo liegenlässt, sondern bei vollem Bewusstsein und direkt in die Kiste entsorgt – das würde auch sein blendendes Verhältnis zum Hausmeister erklären, dem er so einiges an Arbeit abnimmt ...
    Der Hintergrund des Ganzen: Tom ist jetzt cool. Sein adoleszenter Körper meldet seinem vorpubertierenden Hirn, dass bestimmte Sachen »aber so was von gar nicht gehen«, und das Hirn befiehlt Vollzug. Weg damit, ab in die Kiste!
    Leider ist das mit dem Coolsein bei Tom wörtlich zu verstehen, denn die Sachen, die Tom »verliert«, sind in erster Linie: warme Sachen. Häufig geführte VaterSohn-Dialoge hören sich bei uns deswegen so an:
    »Tom, wie kann man bitte seinen Mantel, seine Mütze und seine Winterstiefel in der Schule vergessen?«
    »Ich habe einfach nach Turnen mein Sportzeug angelassen, Papa, kann doch mal passieren.«
    »Das passiert dir aber andauernd!!! Außerdem hattest du doch heute gar keinen Sportunterricht ...«
    »Mir war einfach warm, reg dich nicht auf! Die anderen haben auch Turnschuhe an.«
    Ich sage dann verbotene Elternsätze wie »Du bist aber nicht die anderen« oder »Es ist Winter und außerdem waren die Stiefel teuer« und Tom grinst:
    »Die werden schon wieder auftauchen, Papa, sind bestimmt in der Kiste.«
    Ich gebe zu, dass ich in pädagogischen Fragen zur sinnvollen Winterbekleidung von Schulkindern etwas lax bin, weil meine Eltern diesbezüglich eine Paranoia hegten, die ich nicht wiederholen möchte. Aus Angst, ich könnte erfrieren (der Junge verlässt das Haus und erfriert spontan auf dem Schulweg, soll ja vorkommen), schickten meine Eltern mich seinerzeit ab Anfang September mit Bommelmütze, Schal und Handschuhen los und machten mich so zum Gespött der anderen. Natürlich handelte es sich um selbstgestrickte
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