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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
Autoren: Jess Jochimsen
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so, würde Gott auf seiner Wolke sitzen und ausrufen: »Verdammt, den hätte ich wecken sollen!«
    Meine Mutter hat aber auch noch andere Erziehungsmaximen als Old-School-Schlaflieder auf Lager,das exzessive Vorlesen von Märchen
     etwa. Und auch das blieb für Tom nicht folgenlos.

    »Hast du dein Pausenbrot gegessen?«, frage ich ihn ein paar Tage, nachdem er von der Oma zurückgekehrt ist.
    »Das ging nicht«, antwortet er.
    »Wieso nicht?«
    »Ich musste es auf dem Hinweg zerbröseln, wie Hänsel und Gretel, damit ich wieder nach Hause finde.«
    Den ganzen Nachmittag warte ich auf einen Beschwerdeanruf aus der Schule, dass Tom versucht hätte, die Lehrerin in den Backofen zu schubsen ...
    Damit muss Schluss sein, denke ich, und suche nach Gegenpädagogik.
    »Schon mal darüber nachgedacht, dass die Vögel alle Brotkrumen aufpicken und dass zum Beispiel eine Schnur viel besser wäre?«
    Hätte ich nicht sagen sollen. Heute Mittag gibt mir Tom mit den Worten: »Halt das mal und warte«, das eine Ende eines Paketbandes in die Hand und läuft, die Schnur abrollend, davon. Als mir das Warten nach einer Stunde zu blöd wird, folge ich dem Band. Es führt mich eine Straße weiter zum Haus von Toms Kumpel Paul. Mit Pauls Vater geht es entlang einer zweiten Schnur zu Felix und von dort zu Luka und so weiter. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit stehen dann vierzehn Väter mit etlichen hundert Meter Paketbandauf dem Fußballplatz, sehen ihren Söhnen beim Kicken zu und können einfach nicht böse sein – noch nicht mal, als mein Sohn sagt: »Die Schnüre spannt ihr schön wieder auf, sonst kommen wir nicht heim!«
    Ein Schlaflied will Tom an diesem Abend übrigens nicht.

Wehret den Anfängen
    »Du musst augenblicklich damit aufhören«, schimpft die Oma, »sonst gerät Tom auf die schiefe Bahn.«
    »Mutter«, sage ich, »er ist ein Kind!«
    »Aber du weißt, wohin das führt«, schimpft die Oma weiter, »oder willst du, dass er so wird wie du?«
    Ehrlich gesagt ja, aber das traue ich mich nicht auszusprechen. Nicht jetzt. Nicht in dieser prekären Situation. Das Problem ist: Mein Sohn Tom raucht.
    Schuld daran ist eine Verkettung ungünstiger Umstände: falsche Freunde (Felix und Paul), ein schlechtes Vorbild (ich), eine Liberalisierung der Taschengeldpolitik (welche ausgerechnet die Oma forciert hat) und der Tante-Emma-Laden um die Ecke, der die vermaledeiten Kaugummizigaretten zu Spottpreisen auf den Markt wirft.
    Fakt ist, dass Felix, Paul und Tom derzeit die angesagten Jungs des Viertels sind. Sie sind beliebt, cool und werden von den Nachbarmädels angehimmelt – echteRaucher eben. Fakt ist aber auch, dass wir vor dem pädagogischen Problem »Wehret den Anfängen« stehen, denn wenn die Oma sich einmal in ein Thema verbissen hat, lässt sie so schnell nicht locker.
    »Mutter«, versuche ich es, »nicht jedes Kind, das eine Spielzeugpistole hat, wird später Polizist oder Mörder oder tritt einem Schützenverein bei. Und genauso verhält es sich mit Kaugummizigaretten.«
    »Papperlapapp, du weißt ganz genau, dass er dich nachahmt!«
    Das stimmt nicht, denke ich, denn mein Sohn schleicht sich zum Rauchen nicht auf den zugigen Balkon oder heimlich auf die Restauranttoilette wie sein Vater, Tom frönt seiner Sucht lässig in der Öffentlichkeit. Ich bin stolz auf ihn. Sagen tue ich das nicht.
    »Ich habe dir diese Kaugummidinger damals jedenfalls nicht erlaubt«, sagt die Oma.
    »Hat aber auch nichts genützt«, sage ich.
    »Jetzt hör doch auf«, sagt sie, »wer ist denn schuld an der Raucherei?«
    »Die Amerikaner«, sage ich, »Kolumbus hat den Tabak nach Europa gebracht.«
    »In Amerika ist Rauchen überall verboten«, sagt sie, »du solltest dir ein Beispiel daran nehmen.«
    »Kommt in Deutschland auch noch so«, sage ich, »und bis dahin finanziert die Tabaksteuer deine Rente.«
    »Ein solches Argument ist eines mündigen Demokraten unwürdig«, sagt sie.
    »Die einzige Errungenschaft der Demokraten in der 1848er-Revolte war die Raucherlaubnis«, sage ich, »und die Demokraten von heute vergeigen das jetzt.«
    »Und wenn sie dadurch Tom vom Rauchen abhalten«, sagt sie, »dann wähle ich die sogar!«
    Zum Glück müssen wir solche Dispute in Zukunft vielleicht nicht mehr führen, denn Tom hat uns eröffnet, dass er mit dem Gedanken spiele, das Rauchen aufzugeben und stattdessen Profiseifenkistenfahrer zu werden. (Pauls Vater, ein militanter Nichtraucher übrigens, hat den Jungs ein schlittenähnliches Gefährt
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